Heute wollen wir die Umgebung erkunden und stärken uns erst einmal beim Frühstück. Das Buffet ist für amerikanische Verhältnisse recht üppig, es gibt sogar die Möglichkeit, sich Waffeln zu backen. Leider kommt der Teig dafür aus dem Automaten und dementsprechend schmeckt die fertige Waffel dann auch: Industriepampe mit einem Hauch von Pappe im Abgang. Uäh! Apropos: Das Geschirr besteht hier ausschließlich aus Pappe, das Besteck aus Plastik. Wir schütteln unsere Köpfe über diesen Zustand.
Nach dem Frühstück schauen wir zu einem Outdoor-Sportgeschäft vorbei. weil wir bei den herrschenden Minustemperaturen unbedingt wärmere Kleidung brauchen. Wir haben nicht mit der permanenten Kälte gerechnet - die Eigentümer des Geschäfts offensichtlich auch nicht. Sie haben weder dicke Jacken noch warme Unterwäsche im Programm. Im nächsten Sportgeschäft sind Daunenjacken ebenfalls Fehlanzeige. Die nette Verkäuferin bestätigt unsere Vermutungen: Normalerweise herrschen hier keine derart kalten Temperaturen, das Sortiment ist auf wärmere Bedingungen ausgerichtet. Wir finden aber dennoch ein paar Artikel, die unsere Situation verbessert: lange Merino-Unterwäsche, dicke Wandersocken, Handschuhe und eine wind- und regenabweisende Überjacke für Olaf. Die Sachen werden im Geschäft eingeweiht, wir behalten sie gleich an.
Nach einem Stopp an der Tankstelle (schau an, eine Zapfsäule mit eingebautem Fernsehbildschirm) fahren wir in das Herzstück des Nationalparks, den Zion Canyon, und auf den sechs Meilen langen Scenic Drive. Man könnte meinen, dass nach dem gestrigen Erlebnis alles andere neben dem Grand Canyon verblasst, aber dem ist zum Glück nicht so. Auch dieses Naturwunder bringt uns zum Staunen. Mächtige Mauern aus rötlichem Navajo-Sandstein streben eine halbe Meile in den weißgrauen Himmel hoch, spitze mit Schnee überzuckerte Zinnen türmen sich auf, riesige wie Zähne oder Finger geformte Monolithen ragen empor. Unser Reiseführer schildert eine grüne Oase, die im Sommer klaustrophobisch eng wird, wenn der Park mit Fahrzeugen und schwitzenden Touristen verstopft ist. Uns zeigt sich eine Welt aus rotbraunem Stein, gelbgrauer bis fahlgrüner Vegetation und weißem Schnee, in der sich die wenigen Besucher fast schon verlieren.
Viele der Trails sind aufgrund von Felsstürzen oder herabfallendem Eis gesperrt, so zum Beispiel auch der kurze Weg zum „Weeping Rock“, den wir entlangspazieren wollten. Wir ignorieren die Sperre und steigen weiter hinauf, bis die Vernunft uns gebietet, nicht weiterzugehen. Der Pfad verwandelt sich in eine einzige Eisschicht und darüber hinaus hängen hunderte von Eiszapfen wie Speere von den Felswänden über uns herab. Immer wieder hören wir ein lautes Krachen, wenn Eis sich löst und auf den Boden aufschlägt. Wir möchten unsere Weltreise nicht vorzeitig wegen eines Lochs im Schädel beenden und treten den Rückweg an.
Auch der nächste Trail beim „Temple of Sinawava“, dem Ende des Scenic Drives, ist offiziell gesperrt. Wie die meisten anderen Besucher gehen wir trotzdem den idyllischen „Riverside Walk“ am klaren Virgin River entlang, bis uns eine über den Pfad gespannte Eisenkette abermals gemahnt, dass der dieser nicht mehr begehbar ist. Vor uns spielt sich ein ähnliches Schauspiel wie am „Weeping Rock“ ab: Eis kracht in schöner Regelmäßigkeit auf den Weg hinunter. Wir kehren um, sind aber nicht frustriert darüber. Es ist so schön hier, Eis und Schnee verwandeln den Canyon in eine Winterwunderwelt. Welch seltsame Formen - Stalaktiten, Pilzköpfe, Orgelpfeifen - das an den Steilhängen klebende gelbweiße Eis annimmt!
Der dritte Wanderweg, den wir wählen, führt zu dem untersten der „Emerald Pools“. Mittlerweile hat es angefangen, kräftig zu schneien und die Bergwelt um uns herum ist nur noch schemenhaft zu erkennen. Am fast vollständig mit Eis bedeckten Teich erwartet uns eine bizarr anmutende Szenerie: Vom Dach einer überhängenden Felswand weht ein Wasserrinnsal, das fast nur aus Dunst zu bestehen scheint, auf einen Hügel aus gelbweißem Schnee, eine dicke Zuckergusskruste überzieht die Äste und Zweige des daneben wurzelnden Baumes. Die Wülste der Felswand sind mit Reißzähnen bewehrt, da riesige Eiszapfen herunterragen. Wir verzichten darauf, den Rest des unter der Wand verlaufenden Pfades zu begehen und kehren zum Auto zurück.
So schön die Spaziergänge in der Winterwelt des Zion Canyon auch waren - mittlerweile ist uns kalt und der Schnee durchnässt langsam meine Daunenjacke. Wir haben für heute genug im Freien zugebracht und kehren nach Springdale zurück. Weil ich mir gerne noch schwarze Halbschuhe zulegen würde (meine Abendgarderobe besteht momentan aus einem Paar Ballerinas, die erstens nur ohne Socken zu tragen und zweitens unbequem sind), statten wir einem uns empfohlenen Gift Shop einen Besuch ab, der so ziemlich alles anbietet, was man sich vorstellen kann. Jede Menge Krimskram, aber eben auch Kleidung und ein paar Schuhe. Zum Schießen finde ich die Gras-Flipflops mit Plastikgras-Sohle, „grown in Zion“. Für das gegenwärtige Wetter sind sie aber definitiv nicht empfehlenswert und auch bei den anderen Modellen werde ich leider nicht fündig.
Im Supermarkt decken wir uns mit Lebensmitteln und Getränken ein und dann wärmen wir uns eine Weile im Hotelzimmer auf. Meine Wangen beginnen zu glühen und auch Olaf hat eine gesunde rötliche Gesichtsfarbe. Eigentlich zieht uns nichts mehr hinaus in die Kälte, aber der Gedanke an ein warmes Essen lockt uns dann noch einmal aus dem Hotel. Heute machen wir uns extra früh auf den Weg, denn das von uns ausgesuchte Restaurant schließt bereits um 20 Uhr. Mit dem gestrigen Lokal hat „Oscar‘s Café“ gemein, dass es schon fast rührend unstylish ist. Die Inneneinrichtung wirkt zusammengeklaubt, ein riesiger Plastikfisch hängt unter der Decke und Energiesparlampen sorgen für Bahnhofsklo-Romantik. Dafür ist es schön warm hier drin und mexikanisches Essen steht auf der Karte. Mein vegetarischer Taco Grande ist eine gute Wahl, Olafs in einer Käsesauce erstickte Enchilada leider nicht. Zum Trost bestellt er sich zum Nachtisch einen Karottenkuchen, der wiederum fast in einer Zuckergusspaste ertrinkt, extrem mastig ist, aber erstaunlich gut schmeckt.
Nach dieser Kalorienbombe kehren wir ins Hotel zurück, kuscheln uns ins warme Bett und erledigen pflichtschuldig unsere tägliche, wirklich zeitintensive Aufgabe: Blog schreiben und Fotos für die Website aussuchen.