Als wir heute morgen der Gegend um den Zion National Park Lebewohl sagen, ist im sonst so verschlafenen Springdale der Teufel los: Hunderte von Halbmarathon-Läufern kämpfen sich - mitunter leicht bekleidet - in klirrender Kälte auf ihrer letzten Etappe zum Ziel vor. Je näher wir dem Startpunkt Virgin kommen, desto heterogener wird das Bild der Teilnehmer... Frauen, Männer, Junge, Alte, Dünne, Dicke. Viele der Nachzügler gehen nur noch, offensichtlich am Ende ihrer Kräfte. Ich zolle jedem Respekt, der diese Strapaze auf sich nimmt!
Wir dagegen rollen völlig unangestrengt unserem eigenen Ziel, der 250 Kilometer entfernten Stadt Page am Südufer des Lake Powell, entgegen. Auf halber Strecke übernehme ich das Steuer - zum ersten Mal auf unserer USA-Reise. Zu Hause in Deutschland laufe ich normalerweise panisch kreischend davon, wenn ich ein Fahrzeug bewegen soll, das wesentlich größer ist als mein Fiat 500. Ich mag meinen wendigen kleinen Flitzer und würde niemals freiwillig im SUV durch München gondeln. Umso erstaunter bin ich, dass sich meine Vorlieben in den USA gewandelt haben. Anfangs belächeln Olaf und ich die ganzen Pickups und Riesenkarren der Amerikaner, doch schon nach ein paar Tagen fühlen wir uns in unserem großen Jeep richtig wohl. Wir thronen schön weit oben, schieben uns quasi in den Wagen, wenn wir einsteigen, statt wie bei normal dimensionierten Autos in den Sitz hinunterzuplumpsen. Stauraum ist natürlich reichlich vorhanden und da die Infrastruktur hier überall auf große Schlitten ausgelegt ist, treten einem weder beim Fahren noch beim Einparken Schweißperlen auf die Stirn. Erstaunt stelle ich fest, dass nicht nur das Beifahrer-Dasein im Grand Cherokee angenehm ist, sondern dass es mir tatsächlich überhaupt nichts ausmacht, den Jeep selbst zu steuern. Er ist unkompliziert, leicht zu handhaben und hat Power. Ich taufe ihn auf „Baloo“, den gemütlichen Bären aus dem „Dschungelbuch“. Ohne Zwischenfälle bringt er uns von Utah nach Arizona, von Arizona nach Utah und dann nach Page, das - wer hätte es geahnt - wiederum in Arizona liegt. Vom blau schimmernden Lake Powell erhaschen wir nur einen kurzen Blick; wir haben heute ein anderes Ausflugsziel - den Antelope Canyon. Er ist der meistbesuchte Slot Canyon im Südwesten der USA, wobei die Bezeichnung für eine enge, durch fließendes Wasser geschaffene Schlucht steht.
Der Antelope Canyon besteht aus dem Upper und dem Lower Canyon. Beide liegen im Navajo-Nation-Reservat und sind nur mit geführten Touren begehbar. Wir fahren spontan zum Parkplatz des oberen Canyons, kaufen Eintrittskarten und haben Glück: Nach nur ein paar Minuten Wartezeit geht es schon los mit der Besichtigung. Unser Guide Betty, eine winzig kleine, aber recht resolute Lady vom Stamm der Navajo, scheucht uns zusammen mit sieben anderen Gästen zu einem offenen Transporter. Wir klettern hinauf, nehmen auf den zwei Sitzbänken Platz und werden in der nächsten Viertelstunde ordentlich durchgeschüttelt und schockgefrostet. Über sandiges Terrain gelangen wir zum Eingang des Canyons, wo wir aussteigen. Und wiederum winkt uns das Glück: Nur am Anfang kommt uns eine andere Gruppe entgegen, danach gehört der bis zu 44 Meter tiefe Canyon erst einmal uns. Betty gibt den anderen Mitgliedern der Gruppe ausführliche Fototipps, während Olaf und ich verbotenerweise vorausgehen und immer weiter in eine bizarre Wunderwelt vordringen. Durch die Spalten über unseren Köpfen können wir Ausschnitte des blauen Himmels erkennen; das einfallende Licht lässt die oberen Wandbereiche orangefarben aufflammen und auf seinem Irrweg zu uns in die Tiefe unzählige Vorsprünge, Zacken und Wölbungen in Pastelltönen hervortreten. Die Sandschichten, aus denen das Gestein früher bestand, zeigen sich heute noch in Form dünner horizontaler Streifen, die sich endlos fortsetzen. Jede Biegung des stellenweise sehr engen Pfades eröffnet neue fantastische Perspektiven und Lichtstimmungen. Olaf und ich knipsen uns die eiskalten Finger wund. Ein Paradies für jeden Fotografie-Begeisterten!
Nach 400 Metern treten wir aus dem Canyon ins helle Sonnenlicht hinaus und wärmen uns kurz auf. Dann geht es ohne Fotostopps auf gleichem Wege wieder zurück - und dieses Mal kommen uns in der engen Schlucht zahllose Menschen entgegen, an denen wir uns vorbeischieben müssen. Die beinahe mystische Stimmung, die wir erleben durften, ist dahin.
Randvoll mit neuen wunderbaren Eindrücken verlassen wir das Canyon-Gebiet und checken im „Country Inn & Suites by Radisson“ ein. Wieder sind wir positiv überrascht, was ein 2,5 Sterne-Hotel so alles bieten kann: Innenpool, Fitnessraum und vor allem ein sehr geräumiges, komfortables Zimmer. Während ich meine Siebensachen verräume, ruht Olaf sich ein wenig aus.
Am späten Nachmittag springen wir wieder ins Auto und fahren zum Parkplatz am Horseshoe Bend. Nach einem strammen Fußmarsch erreichen wir gerade noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang das Aussichtsplateau - und müssen aufpassen, dass wir vor lauter Staunen und Fotografieren nicht die steil abfallenden Felswände hinunterstürzen. Vom Rand des Abgrunds aus bietet sich ein grandioses Panorama: Der tiefgrüne Colorado River hat sich 300 Meter unter uns in einer hufeisenförmigen Schleife ins Gestein gegraben. Wir wandern weiter an der Kante entlang und genießen den Ausblick, bis die hereinbrechende Dämmerung uns gemahnt, an den Rückweg zu denken.
Nach all dem heutigen Naturgenuss haben wir Hunger und fahren direkt zur „Blue Buddha Sushi Lounge“, wo ich einen Tisch reserviert habe. Zunächst sind wir ein wenig irritiert, denn das Lokal befindet sich versteckt in einer dunklen, wenig einladenden Hinterhofgasse. Innen überzeugt es jedoch mit kräftigen Farben, einem fröhlichen Asia-Stilmix (blaue Buddhas inclusive) und vor allem durch das gute Essen. Die Sushis munden, der Sake mit Zimtlikör schmeckt ebenfalls lecker. Was will man mehr!