Unsere gestrige Erfahrung im Antelope Canyon war so schön, dass wir auch den unteren Teil nicht missen möchten. Nach einem ungesunden Frühstück („Weiche von mir, Erdnussbutter!“) machen wir uns am späten Vormittag auf den Weg zum Veranstalter. Die Wartezeit bis zu unserer Tour wird durch die gewöhnungsbedürftige Darbietung eines Navajo-Mannes in Tracht verkürzt, der - begleitet von indianischen Gesängen aus dem Lautsprecher - bis zu zehn neongelbe Reifen um seinen Körper windet. Und dann geht es mit der Besichtigung los!
Dieses Mal braucht unsere Gruppe nicht auf Fahrzeuge zu klettern, um den Canyon zu erreichen, sondern wir können zu Fuß dorthin spazieren. Unser Guide Jerome schärft uns währenddessen ein, immer schön darauf zu achten, wo wir hintreten, und erzählt von verstauchten Knöcheln und gebrochenen Handgelenken.
Führte gestern eine Art Portal ebenerdig in die Schlucht hinein, warten heute schmale Eisentreppen und -leitern auf uns, über die wir 35 Meter in die Tiefe absteigen. Wieder sind wir mittendrin in einer wundersamen Parallelwelt, von der Jerome sagt, sie erinnere ihn an das „rabbit hole“ in „Alice im Wunderland“. Die Navajo nennen den Ort treffend „Hazdistazí“, was so viel wie „spiralförmige Felsenbögen“ bedeutet. Die in sich gedreht wirkenden Wände scheinen mitten in einem gemeinsamen Tanz erstarrt zu sein, einströmendes Wasser hat im Laufe der Zeit grandiose Strukturen geschaffen: sanfte Einbuchtungen, weibliche Rundungen, dramatische Kanten, kühne Zacken. Mit ein bisschen Fantasie erkennt man die kuriosesten Figuren im Stein. Jerome zeigt uns die Frau im Winde - wobei Frau im Sturm zutreffender wäre, so stark werden ihre langen Haare von einer Bö nach hinten geblasen. Wir machen auch Bekanntschaft mit dem Bären und dem Antlitz eines Häuptlings, dessen singendes oder rufendes Profil den Felsen ziert.
Es ist ein fantastisches Reich hier unten, aber auch ein gefährliches. Gelegentliche Sturzfluten nach starken Regenfällen in der Gegend verwandeln den Canyon nämlich in eine Todesfalle - wie zuletzt im Jahr 1997, als elf Touristen umkamen. Zuletzt sei der Canyon vor sechs Jahren vollständig mit Wasser gefüllt gewesen, berichtet unser Führer Jerome. Ihm zufolge „singt“ und vibriert die Schlucht, wenn eine Springflut heranrauscht. Dann gilt Alarmstufe Rot. Heute bleibt Jerome zum Glück der Einzige, der hier singt. Wir schlängeln uns auf leicht ansteigende Pfad weiter durch das enge Felsenlabyrinth, steigen auf kleinen Treppen dem Tageslicht entgegen und verlassen schließlich den Canyon. Ich beobachte schmunzelnd, wie hinter mir ein Orpheus nach dem anderen wie durch Zauberhand von der Unterwelt ausgespuckt wird und blinzelnd in den Sonnenschein tritt.
Welcher Slot Canyon ist denn nun der Schönere? Reine Geschmackssache. Olaf gefällt der untere besser, da aufgrund seiner V-Form mehr Licht hineinfällt. Die obere Schlucht hingegen wirkt durch ihre A-Form deutlich düsterer. Ich will und kann keine Entscheidung fällen. Jeder Canyon hat seinen eigenen Reiz und ich schätze mich glücklich, beide gesehen zu haben.
Wir wollen noch nicht zum Hotel zurückkehren, sondern setzen unsere Erkundung der unmittelbaren Umgebung fort. Zuerst halten wir bei... Walmart. Kein Witz. Ich brauche dringend bequeme schwarze Schuhe und werde dort auch fündig. Angesichts der spottbilligen Preise kommen Olaf und ich allerdings ins Grübeln. Wie können Schuhe nur 14 Dollar kosten? Als ich später am Tag Infos zu Walmart im Internet suche, bestätigen sich meine Befürchtungen. Der Einzelhandelsriese soll seine Eigenmarken unter sehr umstrittenen, mitunter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen herstellen lassen. Zudem gilt der Konzern als gewerkschaftsfeindlich, verweigerte seinen Mitarbeitern die Mittagspause und hat einen Umweltskandal hinter sich. Na wunderbar. Mein erster und letzter Einkauf bei Walmart.
Nach diesem Ausflug in den Konsumtempel fahren wir zum Glen Canyon Dam Overlook, von dem aus wir einen guten Blick auf die imposante Talsperre haben, die den Colorado River zum Lake Powell aufstaut. Anschließend geht es zum Wahweap Overlook, der einen tollen Rundblick auf den zweitgrößten Stausee der Vereinigten Staaten bietet. Wir genießen den Sonnenschein und erfreuen uns an den aktuell herrschenden Temperaturen. Vier bis fünf Grad Celsius fühlen sich nach der Kälte der letzten Tage schon fast frühlingshaft warm an! Zuletzt halten wir noch in der Nähe der Wahweap Marina, damit ich über eine endlose Betonrampe zum klaren See hinunterlaufen kann. Im Sommer soll es hier vor Bootsbesitzern und Touristen nur so wuseln, jetzt im Winter wirkt der Ort wie ausgestorben. Das Restaurant ist geschlossen, der Parkplatz leer, Boote schaukeln verlassen im Jachthafen.
Deutlich mehr Trubel herrscht in Page bei „El Tapatio“, einem Restaurant mit mexikanischer Küche und knallbunter Inneneinrichtung, wo wir zu Abend essen. Die Trennwände der Sitznischen und selbst die Tische sind mit farbenfrohen Malereien bedeckt, die klischeehaft das mexikanische Landleben zeigen: idyllische Pueblos, sombrerobehütete Señores beim Ausritt, bei der Siesta, beim Werben um eine dunkelhaarige Schönheit... Kellner kredenzen riesige Berge an Speisen, die zuweilen neben dem Tisch flambiert werden. Dabei schießt jedes Mal eine derart hohe Flamme bis kurz unter die Decke, dass einem Angst und Bange werden kann. Weit und breit sind keine Rauchmelder in Sicht. Die würden sonst ja auch ständig losschrillen...
Wir lassen uns die Meeresfrüchte-Fajita und den vegetarischen Burrito schmecken und ich probiere als Nachtisch noch die Churros aus. Danach geht es zum Hotel zurück. Der Blog wartet!