Früh um 06:15 Uhr reißt mich der Handywecker aus dem Schlaf, denn das erste Highlight des Tages, ein Helikopterflug, findet gleich am Morgen statt. Wir fahren zum schnuckelig kleinen Flughafen von Page, wo eine Mitarbeiterin des Veranstalters „Papillon“ uns in Empfang nimmt, unser Gewicht notiert und alles Organisatorische erledigt. Es dauert nicht lange, dann stellt unser Pilot Jeff sich vor, gibt letzte Anweisungen und verteilt Schwimmwesten. Auf dem Flugfeld erwartet uns ein knallroter Hubschrauber und wir werden unserem Gewicht entsprechend platziert und „ausbalanciert“. Olaf und eine Familie aus North Carolina nehmen hinten Platz, ich sitze vorne zwischen Jeff und einem jungen Mann namens Doug und habe durch die große Scheibe eine tolle Sicht.
Wir heben ab und schauen zunächst beim Glen Canyon Dam vorbei, folgen dem Colorado River in südlicher Richtung bis zum malerischen Horseshoe Bend und fliegen dann nach Osten am Lake Powell vorbei auf unser eigentlichen Ziel zu: Tower Butte. Wie ein Wachturm thront der schmale Tafelberg aus rötlichem Stein über der Ebene und ist weithin sichtbar. Unser Pilot zieht den Helikopter nach oben, schwebt über die obere „Tischkante“ des gigantischen Quaders und landet schließlich auf dem mit Schneefeldern gesprenkelten Hochplateau. Wir steigen aus, um das fantastische Panorama zu genießen, das sich uns bietet. Eigentlich habe ich keine Höhenangst, doch als ich an den Rand des Plateaus trete und die Hunderte von Metern abfallende Steilwand hinunterblicke, wird mir doch etwas mulmig zumute. Ein falscher Schritt, ein Stolpern... Bei der obligatorischen Fotosession lassen wir entsprechende Vorsicht walten und verkneifen uns die übliche Anweisung: „Jetzt etwas nach hinten, geh‘ noch ein wenig zurück!“ Ich komme mir ein wenig so vor, als hätte ein Adler mich in seinem luftigen Horst abgesetzt und der Welt entrückt. Aus eigener Kraft würde ich es nie wieder heil nach unten schaffen, müsste bis in die Ewigkeit auf dieser Insel in den Lüften bleiben, auf allen Seiten von einem schwindelerregenden Abgrund umgeben.
Für leichten Nervenkitzel sorgt bei mir dann auch noch der Abflug vom Tower Butte. Kaum schweben wir in geringer Höhe über der „Tischplatte“, lenkt Jeff den Helikopter seitlich über die Kante hinaus. Der sichere Untergrund verschwindet von jetzt auf gleich, unter uns nur noch gähnende Leere... Unser Pilot weiß aber natürlich, was er tut und setzt uns einige Minuten später wieder wohlbehalten am Flughafen ab.
Unser treuer „Baloo“ löst den Heli als Transportmittel ab und wir machen uns schnurstracks zu unserem nächsten Ziel auf: Monument Valley! Damit Olaf ein wenig Schlaf nachholen kann, spiele ich Chauffeuse. Wieder einmal unterscheidet sich das Fahrerlebnis komplett von dem in Deutschland. Auf der etwa 200 Kilometer langen Strecke Richtung Westen muss ich ganze drei Mal abbiegen, sehe vielleicht ein Dutzend andere Autos und fahre fast ausschließlich durch unbesiedelte, menschenleere Gegenden. So macht mir Autofahren Spaß! Und besonders schön wird es, als sich die Silhouetten der Einzelberge im Monument Valley rot gegen den milchigblauen Himmel abzuzeichnen beginnen. Jeder, der schon einmal einen John Ford-Western, „Spiel mir das Lied vom Tod“ von Sergio Leone oder „Easy Rider“ gesehen hat, kennt diese Kulisse.
Doch wie sind die berühmten Tafelberge entstanden? Vor etwa 70 Millionen Jahren wurde das einstige Tieflandbecken durch stetigen Druck von unten allmählich zu einem 2.100 Meter hohen Felsplateau angehoben. Seitdem arbeiten Wind, Regen und Eis unaufhörlich daran, die Oberfläche wieder abzutragen. Übrig geblieben sind die von der Natur kunstvoll gemeißelten, isoliert im Tal stehenden Berge und Speere aus Sandstein, doch auch sie werden natürlich irgendwann der endlosen Erosion zum Opfer fallen.
Bevor wir ins Valley hineinfahren, halten wir zunächst beim großen Visitor Center. Aufgrund seiner erhöhten Lage bieten sich sowohl von der Terrasse als auch von den Fenstern der Verkaufsräume aus unglaublich schöne Blicke auf die roten Kolosse, die bis zu 300 Meter hoch über das Colorado-Plateau ragen. Wir durchstöbern eine Weile die Waren des Trading Posts - das Angebot reicht von handgewebten Teppichen über Sandmalereien und Töpferkunst bis zu extravagantem Navajo-Silberschmuck - und dabei stelle ich fest, dass Olaf durchaus Hüte tragen kann. Der braune Stetson steht ihm super! Leider ist mein Mann davon weniger überzeugt als ich und verzichtet auf einen Kauf.
Nach diesem Zwischenstopp übernimmt Olaf das Steuer und fährt auf den nicht asphaltierten Rundweg, der direkt beim Visitor Center beginnt. Die nächsten 27 Kilometer werden wir auf der holprigen Sandpiste ordentlich durchgeschüttelt, während wir uns den Felsformationen des Valleys nähern. Jede davon trägt einen eigenen Namen, meistens durch ihre charakteristische Form inspiriert. Wir lernen den westlichen und östlichen Fausthandschuh kennen, den Elefanten- und den Kamelberg sowie den Daumen. Andere Namen spiegeln die Bedeutung der Plätze für die Navajo wider, zum Beispiel der Regengott-Tafelberg, der Totempfahl oder Yei Bi Chei (spirituelle Gottheiten).
Besonders schön ist der Ausblick von John Ford‘s Point auf die Drei Schwestern - von denen eine tatsächlich wie eine katholische Nonne aussieht -, den Merrick Butte und auf weiter nördlich gelegene Gesteinswunder in der Ebene. Vor der großartigen Wildwest-Kulisse kann man sich hier ganz in John-Wayne-Manier zu Pferde fotografieren lassen. Ich verzichte darauf, schließe dafür jedoch Bekanntschaft mit einem anderen Vierbeiner. Eine große Hündin kommt aus dem Nichts, begrüßt mich freundlich, wirft sich vor mir auf den Rücken und lässt sich dann ausgiebig kraulen. Vermutlich gehört sie - wie ihr schwarzer Gefährte, der in der Sonne döst - einem der rund 300 Navajo, die im Monument Valley leben. Offensichtlich ist sie es gewohnt, sich Streicheleinheiten von durchreisenden Touristen abzuholen. Viele von uns sind an diesem freundlichen Wintertag allerdings nicht unterwegs. Am Artist Point Overlook, wo wir bei spektakulärer Aussicht die mitgebrachte Guacamole und Knoblauchbrot futtern, treffen wir einen einsamen Italiener, später gesellt sich noch ein turtelndes Pärchen dazu. Ein Massenauflauf sieht anders aus!
Nach gut zwei Stunden und unzähligen Fotostopps beenden wir unseren Scenic Drive beim Visitor Center, wo ich doch noch zuschlage und zwei Oberteile im Ethno-Look kaufe. Anschließend machen wir uns auf den langen Rückweg nach Page. Sind ein paar wundersam geformte große Steine es wert, vier Stunden Fahrt auf sich zu nehmen? Unser einstimmiges Urteil: Definitiv!
Am Abend besuchen Olaf und ich die „State 48 Tavern“, wo von der Natur inspirierte Deko wie aufgestellte Äste, Sitzpolster in Erdfarben und Holztische auf Industrieschick an den Wänden trifft. Dort hängen türkise Eisenbleche, die großflächig verrostet sind. Auf einer großen Leinwand wird eine Sportübertragung gezeigt - in Deutschland wäre das mit großer Wahrscheinlichkeit Fußball, hier läuft stattdessen Baseball. Wir konzentrieren uns lieber auf die Speisekarte, folgen den Empfehlungen und können nicht klagen: Meine Avocados in Bierteig und der Erdbeersalat schmecken recht gut, Olaf ist mit Kokosnuss-Shrimps und Birnenburger ebenfalls zufrieden. Ein originelles letztes Abendessen in Page!