Tag 22, 04.03., Auf Entdeckungstour im Yosemite Valley


Heute morgen holt uns Glenn - Guide, Chauffeur und laut Selbstbeschreibung „wandelndes Lexikon“ - vor dem „Elderberry“-Restaurant ab. Wir sind die letzten Teilnehmer; neun andere, überwiegend Amerikaner sowie Mutter und Kind aus Peru, warten schon im weißen „Discover Yosemite“-Kleinbus. Während wir dem Südeingang des 3.081 Quadratkilometer großen Nationalparks entgegenschaukeln, gießt der äußerst freundliche Glenn sein Wissen über uns aus: Er berichtet zum Beispiel über die 37 in Yosemite beheimateten Baumarten (darunter Purpur- und Weißtanne, Zuckerkiefer, Gelbkiefer und Schwarzeiche) und über die fünf Jahre andauernde Dürre, welche die Bäume schwächte und sie anfällig für den Borkenkäfer machte. Im Herbst 2017 zählte die Parkverwaltung ganze 2,4 Millionen tote Bäume. Sie sind leichter entzündlich als ihre gesunde Artgenossen und potenzielles „Futter“ und Beschleuniger für die zahlreichen Brände, die in den wärmeren Jahreszeiten in Yosemite und im Sierra National Forest wüten. Tatsächlich kommen wir immer wieder an großen Gebieten vorbei, in denen nur noch verkohlte Baumgerippe aufragen. 


Unser erster Stopp im Nationalpark gilt dem Pioneer Yosemite History Center in der Nähe von Wowona. Wir überqueren den South Fork, einen Nebenfluss des Merced River, über die gedeckte Holzbrücke aus dem Jahr 1868 und stapfen durch schlammiges Terrain an einer Ansammlung historischer Gebäude vorbei: an einem steinernen Häuschen, in dem zunächst Schießpulver und später Gefangene „gelagert“ch wurden, einem 1879 erbauten, zweistöckigen Farmhaus, einer rustikalen Hütte des schottischen Bergsteigers George Anderson und an dem 109 Jahre alten Wells Fargo Office, das Transporte zum Nationalpark organisierte und Telegraphendienste anbot.


Nach dem kleinen geschichtlichen Schnupperkurs fahren wir an schneebedeckten, wolkenverhangenen Hängen vorbei in Richtung Yosemite Valley, dem zentralen Teil und der Hauptattraktion des Parks. Dieses u-förmige Tal mit seinen malerischen Wasserfällen, idyllischen Auen und markanten Granitfelsen wird jährlich von etwa 3,75 Millionen Menschen besucht, von denen der Großteil in den Sommermonaten kommt. Wir werden an den Aussichtspunkten also nicht von anderen Touristen überrannt - definitiv ein Vorteil unserer Wintertour. Ein Nachteil besteht darin, dass bestimmte Straßen wie die Glacier Point Road und die Mariposa Grove Road gesperrt sind und uns dadurch einige Panoramablicke sowie der Zugang zu den Riesenmammutbäumen verwehrt bleiben. 


Wolken verdecken immer wieder die umgebende Bergwelt, doch als wir am Tunnel View anhalten, hat das Wetter ein Einsehen mit uns und gewährt uns eine spektakuläre Aussicht auf Yosemite Valley: Über dem grün bewaldeten Tal ragen linkerhand die senkrechten Wände des massiven Felsvorsprungs El Capitan auf und im Hintergrund leuchtet weiß der schneebeckte Half Dome, benannt nach seiner charakteristischen Halbkugelform. Rechterhand thronen Sentinel Rock und die Cathedral Rocks über dem Tal und etwas unterhalb ergießt sich das schmale weiße Band des Bridalveil Falls in die Tiefe. Ein wunderschöner Anblick, den der bekannte Fotograf Ansel Adams in seinen Bildern verewigte und geradezu poetisch beschrieb: „Yosemite Valley, to me, is always a sunrise, a glitter of green and golden wonder in a vast edifice of stone and space.“


Wir fahren in dieses Naturwunder hinein und halten unterhalb des Bridalveil Falls. Ein rutschiger, von Schneematsch bedeckter Pfad führt näher an den Wasserfall heran. Olaf ist schlau: Nach einem Blick auf die Leute, die uns entgegenkommen, geht er nicht bis zum Ende des Weges weiter. Ich dagegen laufe bis zur Plattform hoch und werde mit einer kalten Dusche begrüßt, da kräftige Gischtschwaden heranwehen. Wie ein begossener Pudel kehre ich mit triefenden Haaren und nassem Gesicht zu meinem grinsenden Mann zurück. Sehr komisch!


Glenn hält in den nächsten Stunden immer wieder an, um uns hübsche Perspektiven auf den mittlerweile in Wolken verhüllten Capitan, Cathedral Rock, Bridalveil Fall, die Zwillingszacken der Cathedral Spires sowie auf die beeindruckenden Upper und Lower Yosemite Falls (435 und 98 Meter hoch) zu ermöglichen. Zu letzteren unternehmen wir eine kurze Wanderung - übrigens ohne (wieder) nass zu werden. Besonders schön ist auch die Aussicht von einer über den idyllischen Merced River gespannten Brücke: Half Dome ragt im Hintergrund auf und spiegelt sich im Wasser des Flusses. 


Auf unserer Tour haben wir das Glück, ein paar Tieren zu begegnen: einem Rotschulterbussard, der längere Zeit auf einem Ast thront und dann elegant davongleitet, einen Kojoten, der über schneebedeckte Auen wandert und einigen putzig aussehenden Maultierhirschen, vor denen Glenn jedoch warnt. Sie schlagen mitunter kräftig aus und das Geweih der Männchen kann Menschen gefährlich werden. „The black bears are more docile than the mule deer“, davon ist unser Guide überzeugt. Er muss es ja wissen, denn er hatte schon dutzende Begegnungen mit Schwarzbären. Ein Exemplar ging sogar auf Tuchfühlung und schnüffelte interessiert an Glenns Hosenstall herum... Gutmütigkeit hin oder her, man sollte es gerade nachts tunlichst vermeiden, Essbares im Wagen zu lassen. Glenn erzählt gut gelaunt, dass Bären den einsamen Schokoriegel auf dem Armaturenbrett noch aus einer Meile Entfernung riechen können. Ein abgeschlossenes Auto ist für sie ein durchaus überwindbares Hindernis - und wer will schon Meister Petz im Wagen haben, der sich im Zweifel schlimmer aufführt als der Elefant im Porzellanladen? Wenn der Bär dann weg ist, wird das beschädigte Fahrzeug abgeschleppt und man erhält darüber hinaus noch eine Geldstrafe. Um diese unangenehmen Konsequenzen zu vermeiden, gibt es auf den Parkplätzen deshalb überall „food lockers“, in denen Wanderer ihre überflüssigen Lebensmittel verstauen können. Wir bekommen heute leider(?) keine Bären zu Gesicht, sie sind zu dieser Jahreszeit selten im Freien anzutreffen. Auch die im Nationalpark mitunter anzutreffenden Berglöwen und Rotluchse halten sich von uns fern.


Nach stundenlanger Besichtigungstour treten wir den Rückweg nach Oakhurst an, wobei Glenns endloser Strom an Informationen, Anekdoten und persönlichen Geschichten Olaf und mich sanft einhüllt und uns zwischendurch wegdämmern lässt. Kurz bevor wir am Schlösschen abgesetzt werden, versorgt der liebenswürdige Guide uns noch mit ein paar Restauranttipps. Da mein Mann und ich sowieso vorhatten, heute außerhalb des Anwesens zu Abend zu essen, folgen wir seiner Empfehlung. 


Kurze Zeit später betreten also wir die „South Gate Brewing Brewing Company“. Leider werden wir nicht in den nett aussehenden, rustikalen Raum zu unserer Rechten geführt, sondern zum Hauptraum, den die restauranteigene Website folgendermaßen beschreibt: „Our ‘Industrial Chic‘ is stylish and inviting.“ Hüstel... Chic und Stil finde ich hier leider nicht, „geschmacklos zusammengewürfelt, ungemütlich, zugig und etwas schmuddelig“ würde stattdessen meine Beschreibung lauten. Unsere Diätcola wird im Einmachglas serviert - das mag ja ganz originell sein, aber das wulstige Gewinde ist nicht gerade lippenkompatibel... Als wir die Speisekarte studieren, müssen wir schmunzeln. Auch hier gibt es wieder Bavarian pretzels, kombiniert mit Bierkäse und Jalapeños. Runterspülen kann man die Dinger, die übrigens wie Laugenstangen aussehen, mit Paulaner-Bier. Apropos bayerisches Bier: Im „Elderberry House Restaurant“ steht übrigens ein Dunkles von der Brauerei Aying auf der Karte! Zurück zum Essen: Da Glenn die gute Pizza erwähnt hat, entscheide ich mich für die „Green Harvest“-Variante mit Feta, Pesto und Rauke. Eine ziemlich trockene Angelegenheit. Immerhin schmeckt Olafs Burger okay und seine Süßkartoffenfritten sind so gut, dass mein Mann sie mit mir teilen „darf“. 


Das insgesamt eher enttäuschende Erlebnis versüße ich mir nach unserer Rückkehr aufs Hotelzimmer mit einem leckeren Cookie am Kaminfeuer.