Tag 25, 07.03., Krisensitzung im Konsulat und Konsumrausch im Kaufhaus


Müde und gerädert wachen wir auf, doch ein Blick aus dem Fenster hebt unsere Stimmung: Über die Golden Gate Bridge wölbt sich ein blasser Regenbogen. Wenn das mal kein positives Zeichen ist! Etwas Schönes in all dem Grau...


Da wir heute das Zimmer wechseln müssen, deponieren wir unser Gepäck an der Rezeption und machen uns auf den Weg zum deutschen Konsulat, das in einem mit allerlei Verzierungen und Säulen aufgemotzten Backsteinbau in der Jackson Street untergebracht ist. Nachdem wir einem brummigen Wachmann unser Anliegen geschildert haben, lässt er uns durch das Eisentor und beginnt mit einer ausführlichen Sicherheitsprozedur. Ein tragbarer Metalldetektor kommt zum Einsatz, meine Tasche wird sorgfältig kontrolliert und die Handys in einem Schließfach verwahrt. 


Zu guter Letzt als ungefährlich eingestuft, dürfen wir ein Nebengebäude betreten und finden uns in einem gediegenen, holzgetäfelten Raum mit mattgolden schimmernder Decke und zwei Schaltern wieder. Wir treten angespannt an den ersten Schalter. So vieles hängt davon ab, wie entgegenkommend die Beamten hier sind! Die grauhaarige Dame hinter der Glasscheibe fragt erst einmal, ob wir einen Termin haben oder nur etwas abholen möchten. Als wir verneinen, macht sie schon Anstalten, uns abzuwimmeln. Oje. Wir schildern ihr unsere Notlage und die Problematik, dass wir im Rahmen unseres Trips um die Welt noch in diverse Länder einreisen werden. „Wenn das so ist, benötigen Sie einen vorläufigen Pass mit einem Jahr Gültigkeit“, erklärt die Dame sachlich, um dann zum „Todesstoß“ auszuholen: „Und um diesen ausstellen zu können, brauche ich von Ihnen die Geburtsurkunden, die Heiratsurkunde...“. Wir trauen unseren Ohren kaum. Wie sollen wir denn bitte an diese Dokumente herankommen?! Ich sehe uns schon die Weltreise ab- oder zumindest unterbrechen...


Wir bleiben freundlich (Das haben wir uns vorher gegenseitig eingetrichtert: Egal, was kommt, immer höflich bleiben!) und weisen darauf hin, dass wir Kopien beider Pässe mit uns führen, den Diebstahl bei der Polizei von San Francisco gemeldet haben und Olaf ja zudem seine Identität mittels des mitgebrachten Personalausweis beweisen kann. Die Beamtin wird etwas zugänglicher, meint aber, letztendlich müsse ihr Vorgesetzter darüber entscheiden, welche Nachweise für die Ausstellung eines vorläufigen Passes zu erbringen sind. Sie reicht uns erst einmal mehrere Formulare und recherchiert für uns, ob wir mit dem vorläufigen Pass überhaupt in alle Länder, die wir im Rahmen der Weltreise besuchen wollen, einreisen dürften (Zum Glück ja!). Dann wird es spannend: Während wir die Anträge ausfüllen, schildert die Dame ihrem Vorgesetzten unseren Fall. Wir bekommen diese geheimnisvolle Instanz nicht zu Gesicht, nur ihr „göttliches“ Urteil wird uns von der Beamtin am Schalter mit einem Lächeln überbracht. Sie braucht von unserer Heimatgemeinde eine Bestätigung unserer Identitäten, zum Beispiel in Form einer Kopie unserer Ausweise, und dann kann der Pass innerhalb von ein paar Minuten für uns gedruckt werden. Uns plumpst ein Felsbrocken vom Herzen. Das hört sich doch schon viel besser an! 


Die Dame freut sich über unsere Erleichterung und macht sich gleich daran, dem für uns zuständigen Einwohneramt eine Mail zu schreiben. Wir bezahlen insgesamt 170 Euro für die Ausstellung der vorläufigen Pässe und werden zu einem Fotogeschäft in der Nähe geschickt, um biometrische Bilder machen zu lassen. Der wenig motivierte Angestellte platziert uns vor einer kahlen weißen Wand, drückt ein Mal auf den Auslöser, druckt je vier Bilder für uns aus und verlangt dafür einen unverschämt hohen Preis von 79 Dollar. Unsere Fotos sind übrigens herzallerliebst: Mir steht eine Haarsträhne zu Berge und ich blicke mit meinen aufgerissenen Augen wie ein Reh im Scheinwerferlicht drein, Olaf wiederum könnte mit seinem finsteren Blick und den herabhängenden Mundwinkeln locker als ein Mitglied der russischen Mafia durchgehen. Immerhin akzeptiert die Beamtin am Schalter die Bilder - und das ist die Hauptsache! Sie fordert uns auf, morgen wiederzukommen. Sollte dann der Nachweis unserer Gemeinde vorliegen, steht der Ausstellung der Pässe nichts mehr im Wege. Enorm erleichtert verlassen wir das Konsulat.


Unser nächstes Ziel ist „Best Buy“, eine Art amerikanischer Media Markt in der Harrison Street, wo wir uns neue Kopfhörer, Weltreiseadapter, Power Banks und Ladekabel zulegen. Anschließend geht es zum „Westfield City Centre“ in der Market Street, einem neunstöckigen Einkaufszentrum mit über 170 Geschäften unter seiner elliptischen Kuppel. Dort kaufen wir Ersatz für weitere entwendete Sachen: Tasche, Rucksack, etwas Modeschmuck für mich und diverse Medikamente. Unser letzter Stopp gilt dem Ray Ban-Laden unweit des Union Square, wo ich mir eine neue Sonnenbrille aussuche. Mit vollen Einkaufstüten kehren wir am Nachmittag zum Hotel zurück. Wir fühlen uns einerseits beruhigter und andererseits ernüchtert. Beruhigter, weil die Lösung des Passproblems in greifbare Nähe rückt und wir bereits einen Großteil der gestohlenen Besitztümer ersetzen konnten. Desillusioniert, weil sich nach den heutigen Gesprächen mit der deutschen Beamtin, mit Rezeptionisten, Uber-Fahrern und diversen Shop-Angestellten unser ursprünglich sehr positives Bild von San Francisco nicht mehr aufrechterhalten lässt. 

Die Konsulatsdame erzählt, dass zur Hauptreisezeit im Sommer pro Tag fünfzehn (!!!) Deutsche zu ihr kommen, deren Pässe gestohlen worden sind. Der Verkäufer bei „Best Buy“ berichtet, dass sein Fahrzeug innerhalb eines Jahres zweimal aufgebrochen wurde. Wir hören Geschichten, dass Autoscheiben mitunter sogar dann eingeschlagen werden, wenn die Besitzer noch nah am Wagen stehen. Man erklärt uns, dass Diebstähle generell an der Tagesordnung seien. Angeblich wird im bekannten Kaufhaus „Macy‘s“ am Union Square täglich Parfüm im Wert von 60.000 Dollar geklaut. In der Drogerie des Westfield City Centre hören wir während des Einkaufens Schreie. Als wir später bei der Kassiererin nachfragen, berichtet sie, dass ein Mann Sachen aus dem Laden stehlen wollte und von einer Angestellten zur Rede gestellt wurde. Er habe ihr daraufhin ins Gesicht geschlagen und sei geflüchtet. Die Kassiererin warnt, dass immer wieder Mobiltelefone oder Laptops aus den Händen ihrer Besitzer gerissen werden - sie selbst hat das erst kürzlich wieder miterlebt.


Im Hotelzimmer recherchieren wir in den Weiten des Internet selbst noch ein wenig zum Thema Diebstahl in San Francisco. Im Jahr 2017 wurde in der Stadt fast 30.000 mal in Autos eingebrochen. Der „San Francisco Chronicle“ schreibt von epidemischen Ausmaßen und berichtet von etwa fünfundfünfzig gemeldeten Vorfällen dieser Art im Februar 2019 - pro Tag! Wenn wir das alles nur vorher gewusst hätten... Natürlich fassen wir uns auch an die eigene Nase: Wir hätten uns vorab über die Sicherheitslage informieren sollen. Ich bewegte mich in den ersten Tagen so unbekümmert durch San Francisco, als würde ich durch München schlendern. Natürlich hängte ich mir meine Handtasche so um, dass sie mir nicht von der Schulter gerissen werden konnte - eine Vorsichtsmaßnahme, die ich in Großstädten generell einhalte. Sorge um das Handy in meiner Hand hatte ich jedoch keine, und ich ging auch nicht davon aus, dass auf einem belebten Parkplatz wie Langdon Court Autoeinbrüche gang und gäbe sind. Hätte ich mir vorher bloß mal die warnenden Google-Rezensionen dazu durchgelesen...  Wir fragen uns aber auch, warum an solchen Plätzen nicht große Warnschilder und abschreckende Bilder aufgestellt werden. Und warum wurden wir nicht von den Rezeptionisten unseres Hotels auf die Risiken hingewiesen? Der Parkplatz am Golden Gate Overlook befindet sich nur ein paar Minuten von der „Lodge“ entfernt. San Franciscans mögen ja Bescheid wissen und sich an bestimmte Regeln halten, aber nicht jeder Touri kennt die Gefahr - bis der Schaden angerichtet ist. Ich kann mich jedenfalls nicht mehr unbeschwert durch San Francisco bewegen.


Doch kommen wir zu angenehmeren Dingen. Den heutigen Abend verbringen mein Mann und ich in einem ansprechenden Restaurant namens „Presidio Social Club“. Meine Pasta mit Kürbis und Pesto schmecken gut, Olafs Fisch ebenso und der Aperol Spritz - Standardgetränk in Münchner Lokalen, auf amerikanischen Getränkekarten bislang unauffindbar - lässt ein wenig Heimatgefühl aufkommen. Zum Abschluss versüßen wir uns das Ende eines ereignisreichen Tages mit einem saftigen Karottenküchlein samt Vanilleeis und Karamellsauce.