Unser erster Besuch am heutigen Tag gilt natürlich gleich wieder dem deutschen Konsulat. Olaf hat gestern um 23 Uhr (acht Uhr deutsche Zeit) zur Sicherheit noch mit der fürs Passwesen zuständigen Dame unserer Heimatgemeinde telefoniert. Wir kennen die stets freundliche und hilfsbereite Angestellte von diversen Behördengängen her. Als Olaf sich nach dem Stand der Dinge bezüglich des Identitätsnachweises erkundigte, war sie bereits über alles im Bilde und versprach, ein Fax mit den benötigten Kopien nach San Francisco zu schicken. Doch ist der Nachweis auch wirklich angekommen und ausreichend? Ich trete im Konsulat an den Schalter und frage nervös nach. Lächelnd wird uns mitgeteilt, dass nun alles Nötige vorhanden sei. Hurra! Ein paar Minuten später halten wir unsere frisch gedruckten, tannengrünen Pässe in den Händen. Wie sehr man sich doch über ein Stück Papier freuen kann! Es ist uns also möglich, am Sonntag den neu gebuchten Flug nach Tahiti anzutreten.
Nach einem kurzen Zwischenstopp im „Target“-Einkaufszentrum, wo ich neue Flipflops und eine billige Sportuhr kaufe, lassen wir uns zur Avis-Filiale in der Post Street bringen. Wir haben nämlich beschlossen, das gute Wetter auszunutzen und einen Ausflug zu den Muir Woods zu machen, die sich nur eine halbe Stunde entfernt von uns befinden. Während wir bei Avis darauf warten, an der Reihe zu sein, fallen uns plötzlich die diversen Schilder auf, die vor Autoeinbrüchen warnen. Nicht mal Kleingeld sollte man offen im Wagen herumliegen lassen... Danke, jetzt wissen wir Bescheid. Aufgrund einer Tagung in San Francisco ist die noch verfügbare Fahrzeugflotte sehr überschaubar. Wir müssen lachen, als unser Mietwagen vorgefahren wird: Es handelt sich um einen weißen Jeep Wrangler. Ein nostalgisch anmutender Riesenklotz, den wir uns eher in der afrikanischen Steppe als auf den Straßen der Großstadt vorstellen können.
Olaf manövriert den Kasten zunächst zum Hotel zurück, wo wir meinen neuen Rucksack bepacken. Am späten Mittag machen wir uns dann zu unserem Ausflugsziel auf. Zwischen zwei und halb drei Uher müssen wir bei den Muir Woods sein, denn dort existiert seit Beginn des letzten Jahres ein strenges Parksystem: Ohne vorherige Buchung ist es unmöglich, vor Ort seinen Wagen abzustellen. Bei der Reservierung wählt man ein Datum und ein halbstündiges Zeitfenster für die Ankunft aus. Wir hatten Glück, für den gleichen Tag überhaupt noch einen Parkplatz ergattern zu können - die meisten Tickets waren schon ausverkauft! Unsere Fahrt zum National Monument bringt ein kleines Highlight mit sich: Wir fahren zum ersten Mal über die Golden Gate Bridge aus der Stadt hinaus! Zwischen ihren in die Höhe strebenden Tragteilen und unter den imposanten rostroten Pylonen wirken sämtliche Fahrzeuge wie Spielzeugautos.
Das Gefühl der eigenen Winzigkeit stellt sich bereits kurze Zeit später noch einmal ein, als wir Muir Woods betreten. In dem 227 Hektar großen National-Denkmal sind nämlich Küsten-Mammutbäume zu Hause, mit bis zu 116 Metern die höchsten Lebewesen der Welt! Hier im Park misst der größte Redwood immerhin stattliche 76 Meter, das dickste Exemplar hat einen Umfang von vier Metern und das älteste weilt seit mindestens 1000 Jahren auf der Erde. Olaf freut sich, doch noch einige Baumgiganten zu Gesicht zu bekommen, nachdem uns ja der Anblick der Riesen-Sequoias in der Sierra Nevada aufgrund des schlechten Wetters und der winterlichen Verhältnisse verwehrt geblieben ist. Wir spazieren entlang des munter vor sich hinsprudelnden Redwood Creeks durch eine stille, erhabene Welt aus Grün- und Brauntönen sowie goldenen Sprenkeln aus Sonnenlicht. Besonders beeindruckend finde ich „Cathedral Grove“, wo der Weg sich durch einen Redwood-Hain schlängelt. Wir sind umringt von imposanten, dunklen Säulen, die majestätisch in die Höhe streben. Weit über uns bilden die Baumwipfel das immergrüne Dach der „Kathedrale“. Ich merke, wie ich allmählich zur Ruhe komme und wieder freier atmen kann. Wie beschrieb es der Namensgeber des Parks, der Naturforscher und -schützer John Muir, so treffend? „In every walk with nature, one receives far more than one seeks.“ Der Ausflug in die Natur ist heute genau das Richtige für uns.
Nach einigen Stunden sagen wir den stillen Riesen Lebewohl und fahren auf der einsamen Frank
Valley Road in Richtung Meer, bis wir den Parkplatz am Muir Beach Overlook erreichen. Wir lassen natürlich nichts von Wert im Auto - so schlau sind wir mittlerweile - und spazieren bis zur
windumtosten Plattform am Ende der Klippe. Sie erlaubt uns wunderbare Ausblicke auf den blauen, sich bis zum Horizont erstreckenden Pazifik, die unberührte Küstenlinie und auf das Häusermeer
von San Francisco in der Ferne. Eine kurvenreiche Straße durch unberührte Landschaft bringt uns nach kurzer Zeit in die Zivilisation zurück und wir nehmen abermals die Golden Gate Bridge, um
nach San Francisco und zu unserem Hotel zu kommen.
Früh am Abend gehen wir wieder die paar Schritte zu „The Commissary“. Wir besuchen das Restaurant bereits zum dritten Mal und werden mittlerweile von der Empfangsdame und dem Manager wiedererkannt. Heute dinieren wir nicht an der Küchentheke, sondern im gemütlichen Hauptraum. Wie die Male zuvor bestellen wir das superleckere Sauerteigbrot, die Käseplatte und den fliederfarbenen Gin Tonic. Ich probiere im Anschluss den Barsch, Olaf nimmt das Schweinefleisch. Alles, was wir hier essen, schmeckt einfach gut. Das mit frischen Himbeeren und Brombeeren garnierte Cassis-Sorbet zum Abschluss geht übrigens aufs Haus. Wir sind ja quasi schon Stammgäste...