Wahrscheinlich liegt es an der Zeitverschiebung, dass ich heute morgen bereits lange vor dem Handyalarm wach bin. Um 06:45 Uhr kann ich nicht mehr weiterschlafen, tapse durchs abgedunkelte Zimmer und luge durch den Spalt zwischen den Vorhängen. Zum ersten Mal sehe ich die schöne Gartenanlage des Hotels im Tageslicht: Mit blühenden Sträuchern und schlanken Palmen geschmückte Grasflächen fallen sanft zum Meer hin ab, im Hintergrund erheben sich dunkel die zackigen Umrisse der Nachbarinsel Moorea. Sämtliche Liegestühle sind noch unbelegt, das Areal liegt weitgehend verlassen vor mir, nur ein paar fleißige Gärtner tun ihren Dienst.
Ich schlüpfe in Bikini und Flipflops, schnappe mir ein Handtuch und stehle mich leise zur Terrassentür hinaus, um Olaf nicht aufzuwecken. Das Meer lockt mich, ich möchte mich kurz seiner salzigen Umarmung hingeben. Das ist jedoch gar nicht so einfach, wie sich herausstellt. Es gibt hier keinen Strand, von dem aus man bequem in die Fluten spazieren könnte; ich scheitere an den Steinmauern, die das etwas erhöht liegende Hotelgelände begrenzen. Schließlich finde ich aber doch noch ein Plätzchen für mein morgendliches Bad: das „Lagoonarium“, ein künstlich angelegtes, aber dennoch bezauberndes Freiluftaquarium. Im dunkelgrünen Meereswasser tummeln sich fünfzig verschiedene Arten von Fischen, darunter Papageien- , Falter- und Doktor-Fische sowie Riffbarsche und spielen zwischen den Korallenblöcken Verstecken. Ich geselle mich zu ihnen und schwimme eine Runde mit.
Als ich zum Zimmer zurückkomme, ist Olaf bereits wach. Nach einer kurzen Dusche geht es zum halboffen gebauten Restaurant „Te Tiare“, in dem ein riesiges Frühstücksbüfett auf uns wartet: Platten voller Obst, Käse, Wurst, Schüsseln mit diversen Salaten, süße Teilchen en masse, Pfannkuchen, Porridge, Suppe und viele andere heiße Speisen, Berge von Brot und Semmeln, exotische Marmeladen. Ich stürze mich auf die frischen Mangos, Melonen und Ananasscheiben und lasse mir ein Omelett zubereiten.
Nach dem Frühstück stöbern wir noch in der Boutique des Hotels herum - besser gesagt: Mein Mann wartet geduldig auf mich, während ich den Gedanken an die akute Platznot in meinem Koffer erfolgreich verdränge und diverse Kleidungsstücke anprobiere. Um ein luftiges Kleid und zwei Tahiti-Shirts reicher kehren wir aufs Zimmer zurück. Da wir mit dem Hotel einen Late Check-Out vereinbart haben, können wir den Raum bis zum Nachmittag nutzen. Ich schreibe Blog, Olaf hört Musik und schlummert dabei ein.
Gegen halb vier Uhr verlassen wir das „InterContinental“ und sitzen die nächsten beiden Stunden im nicht klimatisierten, kleinen Flughafen herum. Als das Boarding für unseren Flug nach Bora Bora beginnt, laufen wir im Gänsemarsch über das Flugfeld und auf eine kleine Maschine zu - begleitet von den fröhlichen Klängen, die ein Mitpassagier seiner Ukulele entlockt. Im Flugzeug ist freie Platzwahl und irgendwie schaffen wir es, uns die Sitze vor einem kleinen Jungen auszusuchen, der erst einmal sein Lungenvolumen austestet und ausdauernd in den höchsten Tönen schreit. Zum Glück dauert der Flug nur 50 Minuten. Von Bora Bora erhaschen wir in der Abenddämmerung nur einen kurzen Blick, sehen die dramatisch aufragenden Berge Mont Otemanu mit 727 Metern und Mont Pahia mit 661 Metern Höhe, beide Teil des ehemaligen Kraterrandes.
Im kleinen Flughafengebäude wartet bereits ein freundlicher junger Mann im Auftrag des „Four Seasons“, der uns zur Begrüßung duftende Blumenketten um den Hals legt und uns dann nach draußen zu einem weißen Boot geleitet. Nur fünfzehn Minuten braucht die schicke „Lady Pearl“, um uns zum Hotel zu bringen. Mit vom Winde verwehten Haar steige ich am Anleger aus und freue mich über ein Gläschen frischen Saft und die freundliche Begrüßung durch den Angestellten Belkheir. Dieser fährt uns im Buggy zu unserer Unterkunft und versorgt uns nebenbei mit den wichtigsten Fakten zum Resort. Dann präsentiert er uns das Reich für die nächsten sechs Nächte: den Wasserbungalow Nr. 225. Olaf und ich sind hin und weg - hundert Quadratmeter reiner Luxus, den wir selbst bei unseren Maledivenaufenthalten in dieser Art noch nicht erlebt haben: eine geschmackvolle Einrichtung aus Teakholz, polynesische Handwerkskunst an den Wänden, geräumige Terrassen auf zwei Ebenen mit direktem Zugang zum Meer. Das Panorama werden wir erst morgen genießen können, aber Belkheir verspricht uns einen unverstellten Blick auf den Sonnenuntergang.
Zum Abendessen gehen wir in die Sunset Bar, eines der drei Hotel-Restaurants. Die von uns georderten Sushirollen (meine „Lady in Red“ enthält Krabbenfleisch, Avocado sowie Wasabi-Mayonnaise und ein Dach aus Thunfisch) schmecken hervorragend. Wir sitzen bei 29 Grad Wärme auf der Pavillon-Terrasse, die auf Pfählen über dem Wasser thront. Vor uns spiegeln sich die Lichter der Wasserbungalows im Meer. Schon jetzt, so kurz nach der Ankunft, merken wir, wie das Inselfeeling in uns hineinsickert. Wir freuen uns wirklich sehr, hier zu sein - wegen der gestohlenen Pässe mit drei Tagen Verspätung, aber darüber wollen wir uns jetzt nicht mehr ärgern. Stattdessen sind wir dankbar, dieses Paradies erleben zu dürfen.