Eigentlich steht heute Morgen ein gemeinsamer Schnorchelausflug an, doch als wir um 08:15 Uhr zum Frühstück gehen, bringt uns die pralle Sonne bereits zum Brutzeln. Mein hitzeempfindlicher Mann entscheidet sich, das Wagnis von mehreren Stunden Sonneneinwirkung auf einem offenen Boot nicht einzugehen. Auf Mauritius musste er dafür mit einem gefährlichen Hitzschlag bezahlen - seitdem ist er vorsichtig.
Nach dem Frühstück trennen sich also leider unsere Wege: Olaf sucht Zuflucht im klimatisierten Bungalow, ich finde mich am Wassersport-Pier ein. Dort wartet bereits der blauäugige Polynesier Vehi von „Pure Snorkeling“ auf mich und ein Pärchen aus Kanada - beide chinesischer Abstammung. Kaum haben wir im schnittigen rotweißen Speedboat Platz genommen, brettern wir auch schon mit rasantem Tempo über die Lagune. Wenige Minuten später halten wir unweit von Pointe Ta’ihi für unseren ersten Schnorchelgang an. Vehi verteilt Masken, Schnorchel und Flossen und wir vier lassen uns ins klare Meer gleiten. Kaum stecke ich meinen Kopf unter Wasser, verschlägt es mir fast den Atem: Nur wenige Meter unter mir gleitet ein Manta vorbei! Mit einer Länge von bis zu neun Metern und einem Gewicht von bis zu zwei Tonnen sind Mantas die größten Rochen der Welt. Ich habe sie schon auf den Malediven beim Tauchen beobachtet und bin immer wieder fasziniert von ihrem außergewöhnlichen Aussehen und ihrer Art zu schwimmen. Sie bewegen nämlich ihre dreieckigen Brustflossen wie Flügel auf und nieder, was unvergleichlich elegant wirkt. Angst muss man vor den sanften Riesen übrigens keine haben, bei ihnen steht vorwiegend Plankton auf der Speisekarte, und sie verfügen auch über keinen Giftstachel. Bei dem unter mir dahinsegelnden Exemplar handelt es sich um eine Rochendame mit einer hübschen Zeichnung auf dem Rücken: Ein helles, geflügeltes Herz hebt sich deutlich von dem dunklen Hintergrund ab. Nach kurzer Zeit taucht ein zweites Mantaweibchen auf, ihr „Herz“ ist viel blasser und ohne Flügel an den Seiten. Ich folge den beiden Damen und kann mich kaum sattsehen an ihrem Dahingleiten, an ihren breiten Mäulern und den hörnerartigen Flossen seitlich des Kopfes. Wenn sie letztere „aufzwirbeln“, schimmern sie wie Perlmutt...
Nach circa einer halben Stunde wird es dann doch einmal Zeit, den Damen ihre Privatsphäre zu gönnen und an Bord zurückzukehren. Wir düsen in westlicher Richtung an der Hauptinsel entlang und Vehi macht uns auf eine aus dichter Vegetation herausragende Kanone sowie einen Bunkereingang oberhalb des Tereia Point aufmerksam - beides Überbleibsel der US-Militärpräsenz während des Zweiten Weltkrieges. Bei der Weiterfahrt bekommen wir die Ostseite der Hauptinsel zu Gesicht, stoppen kurz beim Kanal zwischen Pazifik und Lagune, der einzigen wirklich tiefen Lücke im Riff, und halten dann auf Motu Toopua zu, an derem südöstlichen Eck die Bungalows des „Conrad Hilton“ über der azurblau leuchtenden Lagune thronen.
Vehi steuert das Boot anschließend wieder zur Zentralinsel zurück und zeigt uns den hübschen hellen Sandstrand Matira. Wir umfahren den südlichsten Zipfel der Insel und bewundern das nun wieder ganz hell erscheinende Wasser - auf der Farbpalette irgendwo zwischen mintgrün, aquamarin und türkis.
Unser Boot stoppt unweit von Motu Piti Uuuta bei einem Spot namens „Aquarium“, wo wir wieder Schnorcheln gehen. Der Name verspricht nicht zu viel: Kaum bin ich ins Wasser geglitten, finde ich mich inmitten eines Schwarms gestreifter Fischlis wieder. Ich glotze sie an, sie glotzen zurück, verlieren aber schnell das Interesse an mir, weil ich kein Futter dabei habe. Anders als Vehi, der mit einem kleinen toten Fisch eine goldbraun schimmernde Moräne aus ihrer Höhle lockt. Angesichts ihrer spitzen Zähne und ihres auf- und zuklappenden Mauls halte ich vornehm Abstand. Da schaue ich mir doch lieber die winzige Seenadel Corythoichthys von nahem an, eine Verwandte des Seepferdchens. An den eher unscheinbaren Korallenbänken tummeln sich überall bunte Meeresbewohner, die sich von unserer Anwesenheit wenig stören lassen: Doktorfische, Meerbarben, Trompetenfische, Zackenbarsche, Lippfische... Vehi unterhält uns nebenbei mit eleganten Tauchgängen in die Tiefe, bei denen er kunstvolle Luftblasenringe in verschiedenen Größen nach oben schweben lässt, die einander manchmal berühren und zu einem großen Ring verschmelzen.
Unseren dritten Schnorchelstopp legen wir weiter südlich direkt am Riffsaum ein. Hier sehen wir zwar nur wenige Fische, dafür jedoch einen wunderschönen Garten nah an der Wasseroberfläche: Korallen in Farbschattierungen von Weiß über Zartrosa bis hin zu einem leuchtenden Violett. Die Riesenmuscheln (Tridacna maxima) steuern weitere Farben dazu: ihre lippenartigen Mantellappen, die sich über die Schalenränder nach außen stülpen, schimmern dunkelgrün und blau. Wir schwimmen zunächst gegen die starke Strömung an, was ein kräftiges Beinstrampeln erfordert, um überhaupt voranzukommen. Positiver Nebeneffekt: Wir haben unser heutiges Workout quasi nebenbei erledigt und können uns zur Belohnung ganz entspannt von der Strömung zum Boot zurücktreiben lassen.
Mittlerweile krabbele ich immer schwerfälliger aufs Boot zurück, doch ein weiterer Ausflug ins Wasser steht noch aus. Wir halten an der südwestlichen Spitze des idyllischen Motu Piti A‘au, dem „Spa“ der Gefleckten Adlerrochen. Hier lassen sie sich von Putzerfischen pflegen, die ihnen die Parasiten von der Haut knabbern. Wir entdecken eine Sechsergruppe von Männchen und Weibchen: hübsche Tiere mit silbern schimmernden Flecken auf dem dunklen Rücken, die an die Fellzeichnung bei Leoparden denken lassen. Anders als Mantas haben die Adlerrochen übrigens markante, hervorstehende Schnauzen und einen Giftstachel. Ich bleibe also auf Abstand und bewundere ihre Synchronschwimm-Einlage.
Um trotz der Strömung zum Boot zurückzukehren, müssen wir noch einmal ausdauernd unsere Beinmuskeln einsetzen; schließlich hieve ich mich mit der Eleganz eines nassen Sackes an Bord. So schön jeder einzelne der Schnorchelausflüge war - jetzt bin ich wirklich froh, dass kein fünfter mehr ansteht. Vehi reicht uns frische Ananasscheiben, die den Salzgeschmack im Mund vertreiben, und braust mit uns in nördlicher Richtung zum „Four Seasons“ zurück. Wir bedanken uns herzlich für den tollen Vormittag und der chinesische Kanadier, der die ganze Zeit fleißig über und unter dem Wasser fotografiert hat, verspricht, mir ein paar Bilder zu mailen. Das wäre hervorragend, denn leider habe ich in Ermangelung einer wasserdichten Kamera kein einziges Foto von unseren Schnorchelgängen.
Beschwingt schlendere ich zum Bungalow zurück und treffe dort auf meinen klimacoolen Ehemann, dem ich begeistert vom Ausflug berichte. Meine gute Laune lässt allerdings circa eine Stunde später schlagartig nach, als ich Folgendes entdecke: Ich habe mir einen extremen Sonnenbrand geholt! Am schlimmsten ist er auf dem unteren Teil meiner Pobacken und auf den Rückseiten der Oberschenkel - an jenen Stellen verwandele ich mich im Laufe des Nachmittags in einen Krebs. Es tut schon weh, einfach nur auf dem weichen Bett zu liegen. Auch die Waden und die Rückseite der Oberarme sind gerötet. Und das trotz des verschwenderischen Gebrauchs einer wasserfesten Sonnenmilch mit Lichtschutzfaktor 50! Zum Glück habe ich beim Schnorcheln wenigstens ein T-Shirt getragen, sonst wären meine Schultern und der Rücken bestimmt auch in Mitleidenschaft gezogen... Da ich nur ein Fluid für leichte Rötungen dabei habe, organisiert Olaf für mich eine Salbe zur Linderung von Sonnenbrand.
Um halb sieben ist es Zeit fürs Abendessen. Aufgrund des Brennens diverser Körperteile trete ich etwas miesepetrig auf den Steg hinaus, nach ein paar Schritten ist der Schmerz jedoch erst einmal vergessen: Olaf und ich erleben einen Sonnenuntergang, bei dem uns fast der Mund aufklappt. Der Abendhimmel erglüht in Gelb, Orange und Pink und steckt das Meer in Brand. Die Wolken wollen dem spektakulären Schauspiel nicht nachstehen und zeigen sich in kreativen Formen: in knubbeligen Türmen, langen Fladen und fedrigen Schleiern, ihre Unterseiten rosa angestrahlt. Wir bleiben alle paar Schritte stehen und bewundern wieder und wieder die sich uns bietende Farbenpracht. So lange haben wir noch nie für den Weg zum Motu gebraucht!
Heute schlagen wir nicht den üblichen Weg zu den Restaurants ein, sondern biegen zum Salon ab, in dem heute eine polynesische Dinnershow stattfindet. Man führt uns durch den bereits gut gefüllten Raum zu einem runden Tisch, an dem vier weitere Pärchen sitzen. Ich führe höflichen Smalltalk mit meiner Tischnachbarin aus Kansas, während diverse Platten mit Essen aufgetragen werden: als Vorspeise Kokosbrot, frischer Ahi-Thunfisch, marinierter Schwertfisch mit Ingwer und Sesam sowie Ananas-Kokos-Salat. Als Hauptgang serviert man uns Rinderschmorbraten, Grillhühnchen, Shrimps mit Reisnudeln, einheimisches Wurzelgemüse sowie Kokos-Ananas-Reis. Als Dessert locken frische Früchte, Schokoladenküchlein mit Passionsfruchtfüllung und Firi Firi, ein tahitianischer Krapfen in Fischstäbchenformat.
Während wir noch die polynesischen Speisen kosten, beginnt schon das Showprogramm. Ein beleibter junger Mann mit imposantem Kopf- und Halsschmuck trägt mit grimmiger Miene und ausholenden Armbewegungen lautstark eine für uns unverständliche Geschichte vor. Orero, die Kunst des Geschichtenerzählens, hat eine lange Tradition im Südpazifik. In Französisch-Polynesien wurde in früheren Zeiten so gut wie nichts niedergeschrieben. Umso wichtiger war die Fähigkeit, eine Geschichte mündlich wiederzugeben, damit Wissen und Traditionen an die nächste Generation weitergereicht werden konnten.
Auch mittels Gesang und Tanz kamen Geschichten zu ihrem sinnlichen Ausdruck - wir können uns heute noch davon überzeugen. Zu Live-Musik zeigt uns ein gutes Dutzend Tänzer, warum europäischen Missionaren vor 200 Jahren vor Schock wohl erst einmal das Kreuz herunterfiel und es im Zuge der Christianisierung zu Tanzverboten kam. Die Männer tragen Lendenschürze, Blätterschmuck und Kopfputz und präsentieren stolz ihre ansonsten nackten Körper, die Frauen mit ihren hüftbetonten Röcken und bunten BHs verhüllen ihre Haut nur unwesentlich mehr (in früheren Zeiten waren sie ganz barbusig). Beide Geschlechter bewegen sich anmutig, mitunter lasziv und dann wieder kraftvoll, die Füße trippeln, die Hintern wackeln, die Hüften kreisen, die Arme schlängeln, die langen Haare fliegen, der Schweiß fließt in Strömen. Mit gefällt, was ich sehe; gerade der ständige Einsatz der Hüften erinnert mich an meine Unterrichtsstunden in Orientalischem Tanz.
Als die Tänzer einige der Gäste zu sich holen, lasse ich mich nicht lange bitten. Auf der Tanzfläche herrscht wildes Herumgehampele, weil Männer, Frauen und Kinder versuchen, die Bewegungen der Profis nachzuahmen. Anschließend hält mich meine junge hübsche Vortänzerin davon ab, zum Tisch zurückzukehren. Sie hat noch mehr mit mir vor und überlässt mir außer den länglichen Pom Poms noch ihren markanten, mit Wedeln besetzten Hüftschmuck. Plötzlich stehen wir ganz alleine mitten im Rund. Die Schlaginstrumente setzen ein und meine Partnerin und ich zeigen, was wir so im Repertoire haben - in meinem Fall ist das ein polynesischer Bauchtanz-Crossover-Mix. Ich pfeife auf meinen Sonnenbrand und wackele und schüttele, was das Zeug hält. Meine kurze Einlage wird mit zustimmenden Rufen und Applaus belohnt - das freut mich!
Nach dem Ende des Dinners und der Tänze gehen wir ein paar Schritte durch die Nacht zur inneren Lagune hinunter, an deren Ufer drei Polynesier im Lendenschurz schon auf uns warten. Lasset die Feuershow beginnen! Die Artisten wirbeln ihre an beiden Enden brennenden Stäbe herum, schleudern sie hoch in die Luft, balancieren sie auf nackten Sohlen, setzen kurzzeitig das Wasser der Lagune in Brand und tun so, als würden sie sich bestimmte (männliche) Körperteile versengen. Glücklicherweise suchen sie nicht nach freiwilligen Nachahmern. Ich bin schon ausreichend durchgegrillt!
Aber genug gejammert! Von meiner Verbrennung mal abgesehen, ist der heutige Tag mit schönen Erlebnissen randvoll gewesen. Also Mund halten, Salbe auf das rote Fleisch schmieren und in Bauchlage schlafen...