Tag 34, 16.03., Mit Django auf abenteuerlicher Inseltour


Jetzt muss ich doch wieder mit dem Sonnenbrand anfangen, der mich heute noch mehr quält. Jeder Schritt tut weh, vom Hinsetzen ganz zu schweigen! Die geplante Erkundung der Hauptinsel Bora Boras möchte ich trotzdem nicht absagen. Nach dem Frühstück bringt uns ein Wassertaxi in wenigen Minuten über die Lagune. Am Anleger wartet bereits ein junger Mann im Blumenhemd auf uns, der sich breit grinsend als Django vorstellt - „like the Tarantino movie“. Er bittet uns in sein „office“, einen klapprigen Jeep, auf dessen offener Ladefläche zwei rote Sitzbänke montiert sind, und los geht es. In den nächsten drei Stunden erfahren wir viel Wissenswertes über Bora Bora und die Nachbarinseln, über vergangene Traditionen und aktuellere Entwicklungen. Django ist gebildet, eloquent, lebhaft und ein derartiger Spaßvogel, dass ich aus dem Lachen kaum mehr herauskomme - wenn ich nicht gerade krampfhaft versuche, nicht aus dem Jeep zu fallen. Doch dazu später.


Unser Guide hält immer mal wieder den Wagen an und zeigt uns diverse Bäume neben der Straße: Den Brotfruchtbaum mit seiner grünen, bis zu zwei Kilo schweren Frucht gleichen Namens, die vom Geschmack her Kartoffeln ähnelt und ähnlich vielfältig zubereitet wird: als Brei, Fritten etc; die Schraubenpalme, auf tahitianisch Fara genannt, deren Blätter nach dem „Imprägnieren“ im Meerwasser zum Decken traditioneller Dächer verwendet werden - auch unseren Wasserbungalow krönen sie; den Maniok, dessen Blätter ein wenig an Cannabis erinnern (Django ist ganz enttäuscht, dass mir die Ähnlichkeit nicht sofort ins Auge springt) und aus dessen Wurzelknollen Tapiokastärke hergestellt wird. So weit die entspannten Abschnitte der Fahrt. Abenteuerlich gestaltet sich die Tour dagegen, wenn Django uns zu mehreren hoch gelegenen Aussichtspunkten karrt: Er quält den armen Jeep („It has a strong German motor, no problem!“) extrem steile, holprige „Straßen“ hinauf, die diesen Namen eigentlich gar nicht verdienen. Olaf und ich spreizen uns hinten im offenen Bereich wie Katzen ein, um nicht von den Sitzbänken zu rutschen, und werden trotzdem ganz schön durchgeschüttelt. Das Gehüpfe gefällt meinem verbrannten Hinterteil natürlich überhaupt nicht. 


Immerhin entschädigt mich die schöne Szenerie für die ausgestandenen Qualen: Der Hang oberhalb des „Sofitel Marara Beach Resort“ bietet einen tollen Ausblick auf das stellenweise türkis, stellenweise dunkelblau leuchtende Wasser der Lagune unter uns, auf die beiden kleineren Motu Piti und auf die Umrisse der weit im Osten gelegenen Inseln Tahaa (die „Vanilleinsel“ mit zahlreichen Plantagen) und Raiatea, die sich eine Lagune teilen. Django erzählt uns, dass Raiatea, das um 200 vor Christus von Seefahrern aus Samoa und Tonga besiedelt wurde, sich bald zum geistigen und religiösen Zentrum der Gesellschaftsinseln aufschwang.


Bevor wir den nächsten Steilhang bewältigen, erholen wir uns kurz am feinsandigen Matira-Strand und haben das Glück, im kristallklaren Flachwasser mehrere Adlerrochen vorbeischwimmen zu sehen, die dem Ufer ungewöhnlich nahe kommen. Django hält auch kurz vor dem „Bloody Mary‘s“ im Südwesten der Insel - einem Restaurant mit Bar, das seit seiner Eröffnung im Jahr 1979 unzählige Prominente anlockte: George Michael, Pierce Brosnan, Gérard Depardieu, Harrison Ford, Roman Polanski, Marlon Brando, Jane Fonda, Rod Stewart, Diana Ross... Nach diesem kleinen Exkurs ins Showbiz prügelt Django den Wagen zum Āmanahune-Aussichtspunkt hoch und präsentiert uns kichernd die „50 Shades of Blue“ in der Lagune und den hübschen Blick hinüber zu den höchsten Gipfeln der Zentralinsel.


Als wir wieder heil auf der normalen Uferstraße angekommen sind, fahren wir weiter zum Hauptort Vaitape - klingt angenehm, bedeutet aber unserem Guide zufolge etwas Unschönes, nämlich verrottetes Wasser. Django erzählt dazu eine ziemlich widerliche Geschichte, um die Herkunft des Namens zu erklären: Früher gab es hier einen Fluss oder Bach, in den zum Tode verurteilte, mit einem Stein beschwerte Menschen geschickt wurden. Irgendwann kippten sie vor Erschöpfung um und ertranken. Ihre Leichen ließ man als abschreckendes Beispiel im Wasser, wo sie verrotteten. Na, wunderbar. Ob etwas Wahres an dieser Legende ist, kann ich nicht einschätzen. Im Internet habe ich eine völlig andere Erklärung gefunden: Der Name bedeutet „the place where bodies are taken at maturity“, weil hier Menschen von Rang und Namen für ihre Reise ins Jenseits einbalsamiert wurden. Das Vaitape der Gegenwart ist jedenfalls ein unspektakulärer Ort mit etlichen Geschäften, einem Supermarkt und einer Krankenstation. 


Eine Viertelstunde nach Verlassen des Hauptortes hält Django bei einem Marae an, einer alten Zeremonial- und Versammlungsstätte, die religiösen Zwecken diente, aber auch ein Symbol der politischen Macht des Stammesführers und der übrigen Notablen war. Ein Teil des früher deutlich größeren Areals musste der Straße weichen, die die Amerikaner in den 1940ern bauten. Übrig geblieben ist nur eine kurze Reihe senkrecht stehender Kalksteintafeln, von denen mehrere mit eingeritzten Symbolen geschmückt sind. Django zufolge herrscht hier immer noch Mana, eine starke, spirituelle Kraft. Wer es wagt, einen solchen Ort respektlos zu behandeln und beispielsweise einen Stein mitzunehmen, muss dafür mit Unglück büßen. 


Einen weiteren interessanten Einblick in die polynesische Kultur erhalten wir, als unser Guide bei einem Haus mit einem ganz normalen Vorgarten anhält - nur was sich in diesem Garten befindet, ist für uns Europäer undenkbar. Django deutet auf eine mit weißen Platten geflieste Erhebung und lässt mich raten, was ich da sehe, aber ich komme beim besten Willen nicht darauf, dass es sich um ein Grab handelt! Öffentliche Friedhöfe gibt es auf den Inseln nicht. Die Einheimischen beerdigen ihre Angehörigen im Vorgarten - so sind sie ihnen weiterhin nah...


Für unseren letzten längeren Stopp holpert Django im Nordwesten der Insel wieder eine steile „Straße“ hinauf. Oben erwartet uns die Kanone, die ich gestern bereits vom Meer aus gesehen habe - ein rostzerfressenes Monstrum, das so gar nicht zur uns umgebenden Südsee-Idylle passt. Zum Glück musste sie nie eingesetzt werden. Unser Guide erzählt uns viel über die viereinhalb Jahre andauernde, starke Präsenz der Amerikaner zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Harbor wählte das US-Militär Bora Bora aufgrund strategischer Erwägungen als Versorgungsstützpunkt im Südpazifik aus. Unter dem Decknamen „Operation Bobcat“ wurde eine Flugpiste und diverse Verteidigungsanlagen errichtet, außerdem standen 20.000 Tonnen an Ausrüstung, neun Schiffe sowie 7.000 Soldaten bereit. Ein „Nebeneffekt“ ihrer Anwesenheit war übrigens die Zeugung zahlreicher Kinder mit polynesischen Frauen. Die Väter kehrten meist in ihr Heimatland zurück, Mütter und Kinder blieben dagegen auf Bora Bora. 


Wir sprechen auch noch über das Verhältnis Französisch-Polynesiens zu Frankreich, ein überaus interessantes Thema. Die Einheimischen sind französische Staatsbürger, sie können theoretisch ohne Probleme nach Europa einreisen, dort arbeiten und leben. Zwar gibt es Polynesier, die mit der Unabhängigkeit liebäugeln, doch Django sieht das ganz pragmatisch: Der Verkauf von Vanille und Kokosnüssen reicht nicht, um den heutigen Lebensstandard zu halten. Alleine für sich - ohne nennenswerte Rohstoffe  - könnten die Inseln nicht bestehen. Frankreich sorgt für regelmäßige Finanzspritzen in Höhe von circa 800 Millionen Euro pro Jahr - Django zufolge unter anderem als Wiedergutmachung für die 188 Atombombentests auf dem Mururoa-Atoll, die nach dreißig Jahren erst 1996 aufgrund von massiven Protesten eingestellt wurden. Nach diesem sehr informativen und zugleich lustigen Vormittag bringt der junge Guide uns zur Bootsanlegestelle zurück - ohne seine Drohung wahr gemacht zu haben, uns den hiesigen Kannibalen auszuliefern. Herzlichen Dank dafür!


Wir werden per Boot zum Resort zurückgebracht, wo wir uns erst einmal im klimatisierten Bungalow von der Hitze erholen. Am Nachmittag zieht plötzlich ein Unwetter mit kräftigem Wind und Starkregen auf. Etwas durchnässt erreichen wir das Spa, wo wir wieder in den Genuss einer polynesischen Massage kommen. Meine sonnenverbrannten Hautstellen werden natürlich nicht massiert, sondern mit kühlendem Aloe Vera-Gel und einem einheimischen Öl versorgt. 


Unser Abendessen nehmen wir wieder auf der Terrasse des Arii Moana ein und genießen zum letzten Mal die exzellente Küche des „Four Seasons“. Heute halten wir uns nicht zurück und zählen Kalorien, sondern essen uns durch diverse leckere Gänge, genießen eine Flasche Rotwein und sind uns einig: Wir würden gerne noch ein paar Tage länger bleiben. Schön war‘s im Paradies!