Tag 37, 20.03., Kultur & Natur im Land der langen weißen Wolke


Beim gemeinsamen Frühstück lernen wir ein älteres Paar aus Deutschland kennen, das am Ende seiner sechswöchigen Rundreise durch Neuseeland angelangt ist und dementsprechend viel zu berichten hat. Helga erzählt, dass sie und ihr Mann anfangs etwas gebraucht hätten, mit dem Land warm zu werden. „Schafe, Weiden und Bergseen - die haben wir in Deutschland und Österreich auch“, war ihr erster Eindruck. Alles sei schön und harmonisch, aber halt auch nicht sonderlich spektakulär. Hmmm... Mal sehen, ob wir in vier Wochen auch so urteilen werden!


Auf unserem Programm steht heute das Auckland War Memorial Museum, das größte kulturhistorische und naturkundliche Museum der Stadt, das in einem neoklassizistischen Gebäude aus dem Jahr 1929 residiert. Wir nehmen dort an einer geführten Tour teil, erkunden später aber auch noch auf eigene Faust die umfangreichen Sammlungen, mit denen man sich problemlos einen ganzen Tag befassen könnte. Besonders interessant finde ich die Exponate und Erklärungen zu den Kulturen des pazifischen Raums, der Besiedelung Neuseelands und den Māori. 


Die frühen Vorfahren der Polynesier kamen aus Südostasien, ihre genaue Herkunft ist nach wie vor unbekannt. Vor 3.500 bis 3.000 Jahren erschienen die unmittelbaren Vorfahren der Polynesier, die Lapita, im Bismarck-Archipel. Mit ihren Kanus schafften sie es, Strecken von bis zu 800 Kilometern zu überwinden und reisten zu weit entfernten Gebieten wie Neukaledonien, Fidschi, Tonga und Sāmoa. Nach der Besiedlung der beiden letztgenannten Inselgruppen fand tausend Jahre lang keine Expansion nach Osten statt. Nach dieser langen Pause machten sich Polynesier vor 1.500 bis 1.000 Jahren zu den Cook-Inseln, Gesellschaftsinseln sowie zu den Marquesas auf. Von ihnen ausgehend wurden unter anderem Hawaii und die Osterinsel Rapanui besiedelt. Vor rund 800 Jahren kamen polynesische Segler schließlich in Aotearoa, dem Land der langen weißen Wolke an - in Neuseeland. Aufgrund der abgeschiedenen Lage entwickelte sich die Māori-Kultur in den nächsten Jahrhunderten isoliert von Ostpolynesien.


Zahllose Exponate des Museums geben Einblicke in die Lebensweise der Kulturen des pazifischen Raums und sind eindrucksvolle Zeugnisse ihrer (kunst)handwerklichen Fähigkeiten: kunstvolle Schlagstöcke aus Fidschi, reich dekorierte Rindenbast-Kleidung von den Cook-Inseln, rot bemalte Geisterpuppen aus Neuguinea, hölzerne Göttinnenskulpturen aus Tonga, eine aus Hundezähnen hergestellte Beinrassel aus Hawaii... Auch mehrere Kanus sind ausgestellt, zum Beispiel ein „camakau“ genanntes Segelboot mit Ausleger aus Fidschi sowie ein 25 Meter langes Kriegskanu der Māori, das um 1836 hergestellt wurde und Platz für hundert Männer bot. Auch drei komplette, mit aufwendigen Schnitzereien versehene Holzgebäude finden sich im Museum - unter anderem ein traditionelles Versammlungshaus der Māori von 1878. 


Um noch mehr in ihre Kultur einzutauchen, sehen Olaf und ich uns auch eine kurzweilige Gesangs- und Tanzvorführung von sechs jungen Māori an, die mit einem Kriegstanz samt aufgerissenen Augen und gebleckten Zungen endet. 


Das Museum birgt auch noch eine naturkundliche Sammlung mit 1,5 Millionen Objekten aus Fauna, Botanik, Insektenkunde und Geologie. Wir erspähen Dinosaurierskelette, machen Bekanntschaft mit dem Moa, einem ausgestorbenen Laufvogel, der bis zu drei Meter groß wurde (übrigens nur die Weibchen, die Männer waren viel kleiner) und wie ein monströser Strauß anmutet, mit ausgestopften Kiwis und widerlich großen Insekten. Ein Teil der Ausstellung informiert über Erdbeben, Vulkanausbrüche und deren verheerende Auswirkungen. Wir betreten einen Bungalow mit nachgebautem Wohnzimmer, in dem der Ausbruch eines Vulkans in der Bucht von Auckland simuliert wird. Lichter flackern, Schockwellen lassen den Boden erzittern und auf das Panoramafenster rast eine Aschewolke zu. Hilfe! Ich hoffe unseretwegen, dass sich die neuseeländische Erde bis auf Weiteres schön friedlich verhält. 


In der obersten Etage des Museums befindet sich eine umfangreiche Ausstellung zu den internationalen militärischen Auseinandersetzungen, an denen Neuseeland teilgenommen hat. Im Ersten Weltkrieg starben beispielsweise rund 18.000 Neuseeländer - bei einer damaligen Gesamtbevölkerung von einer Million keine geringe Zahl. Nach mehr als vier Stunden Aufenthalt verlassen wir - randvoll mit neuem Wissen - das Museumsgebäude und erholen uns erst einmal ein wenig in unserem B&B. Ich schreibe den Blog weiter und Olaf macht ein Nickerchen.


Am späten Nachmittag steht Devonport auf dem Programm, einer der schönsten Stadtteile Aucklands. Wir lassen uns zum Vulkan Takarunga/Mount Victoria bringen und spazieren zur Hügelkuppe auf 87 Metern Höhe hinauf. Uns erwarten traumhafte Ausblicke auf Devonport, die Skyline des Central Business District und auf die Insel Rangitoto. Ich wundere mich über die putzigen künstlichen Fliegenpilze, die hier oben eine Wiese bevölkern und erfahre dank Wikipedia von der Militärgeschichte dieses Ortes. Auf dem Gipfel und oberen Hang gab es früher mehrere Bunker und Artilleriestellungen mit unterirdischen Gängen. Ihre Lüftungsschachtabdeckungen wurden in den 1980ern von Studenten aus Jux und Dollerei in Fliegenpilz-Optik angemalt. Den Besucher des Berges gefiel‘s, die „Pilze“ durften bleiben und werden bei Bedarf nachlackiert. Wir spazieren zum Fuße des Hügels und schlendern die hübsche Victoria Road mit ihren kleinen Geschäften, Boutiquen und Restaurants entlang, die teils in viktorianischen und edwardianischen Gebäuden untergebracht sind. Am kleinen Strand beim Fähranleger stockt uns fast der Atem: Der hübsche  Ausblick auf das Meer, die Skyline des Zentrums und die Hafenkräne auf der anderen Seite der Bucht wird durch das Licht der untergehenden Sonne geradezu vergoldet. Je tiefer die Sonne sinkt, desto röter färben sich Himmel und Wasser. Wunderschön!


Wir bleiben gleich vor Ort und essen im lichtdurchfluteten „Devon on the Wharf“ zu Abend - ich einen Salat mit Halloumi, Olaf einen Snapper. Anschließend nehmen wir die Fähre, die innerhalb von zehn Minuten das Stadtzentrum von Auckland erreicht. Eigentlich wollen wir für den verbleibenden Weg zum B&B ein Taxi nehmen, doch als der Fahrer versucht, uns beim Preis übers Ohr zu hauen, wählen wir lieber wieder Uber.


Zurück im Zimmer sind wir uns einig: Das war ein wunderschöner Tag im Land der langen weißen Wolke!