Tag 41, 24.03., Mission House und Stone Store: Eine Reise in die Vergangenheit


Wir stehen heute wieder spät auf und frühstücken erst kurz vor elf Uhr. Als hätte er nur darauf gewartet, taucht der Terrier auf und holt sich etwas Käse und Schinken ab. 


Am späten Mittag fahren wir nach Kerikeri, um einen geschichtsträchtigen Ort zu besuchen: An der Mündung des Kerikeri Flusses in die gleichnamige Bucht steht das im Jahr 1822 errichtete Mission House, das älteste erhaltene Gebäude Neuseelands, dessen bekanntester Gast wohl Charles Darwin war. Gleich daneben hält der Stone Store den Rekord des ältesten erhaltenen Steingebäudes des Landes. Er wurde zwischen 1832 und 1836 aus australischem Sandstein, neuseeländischen Vulkangestein und Kalksteinmörtel gebaut, diente zunächst als Lager und hatte später alle möglichen Funktionen: Missionsbibliothek, Magazin und Kaserne, Handelsunternehmen für Kauriharz, Knabenschule und Gemischtwarenladen. Heute beherbergt er in den oberen Etagen ein kleines Museum und im Erdgeschoss einen bezaubernden Laden, in dem die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Die angebotenen Produkte - Haushaltswaren, Schießeisen, Dekokram, Stoffe - sind in dem rustikalen Raum liebevoll ausgestellt, sie hängen an den Wänden aus grobem Mauerwerk, quellen aus Holzfässern und schmücken die Fensternischen. An der Ladentheke kaufen wir Tickets für eine geführte Tour, die ein paar Minuten später auch schon beginnt.


Unser Guide, eine ältere Lady mit Sonnenhut, führt unsere kleine Gruppe zum mit weißen Brettern verschalten Mission House. Bevor wir das zweigeschossige georgianische Gebäude betreten, müssen wir die Schuhe ausziehen, um die alten Dielen aus Kauriholz zu schützen. In der nächsten halben Stunde schreiten wir von Raum zu Raum, betrachten die in vielen Teilen noch original vorhandene Einrichtung und erfahren allerhand über die faszinierende Geschichte dieses Ortes. Der anglikanische Geistliche, Viehzüchter und Missionar der Church Missionary Society (CMS) im australischen New South Wales, Samuel Marsden, war eine treibende Kraft bei den Missionierungsbemühungen in Neuseeland. Frustriert von den Fehlschlägen bei der Erziehung von Sträflingen und Aborigines zu gläubigen Christen, versprach Marsden sich mehr Erfolg bei den Māori. Nachdem im Jahr 1814 mit mehreren Chiefs eine Einigung über Missionierung und Handel erzielt worden war, begründete Marsden in Rangihoua die erste Missionsstation. Bald darauf kam er mit Chief Hongi Hika (eine faszinierende Persönlichkeit: geschickter Verhandler, brillanter Stratege, gefürchteter Krieger, liebevoller Familienmensch) überein, bei Kerikeri eine zweite Station aufzubauen, die als Hauptquartier dienen sollte. Dafür kaufte er gegen Ende des Jahres 1819 insgesamt 53 Quadratkilometer Land vom Stamm der Ngāpuhi. Mit dem Wort Gottes allein ließ sich keine Siedlung aufbauen; somit entsandte Marsden Missionare, die zugleich Fertigkeiten als Tischler oder Schmiede besaßen. Das Mission House errichtete Reverend John Butler mit gemeinsam mit Häftlingen aus New South Wales sowie Helfern aus dem Stamm der Ngāpuhi.


Letztere erlaubten die Besiedelung ihres Landes nicht aus reiner Nächstenliebe oder aus Interesse am Christentum, sondern versprachen sich davon einfachere Handelsbeziehungen mit den Engländern. Besonders wichtig war ihnen der Zugang zu Musketen und Munition, mit denen sie andere Stämme überfielen.


Die Missionare wiederum mussten sich in einem völlig fremden Land zurechtfinden und lebten in unmittelbarer Nähe von kriegerischen Stämmen, die Kannibalismus praktizierten und von deren Schutz sie abhängig waren, wenn rivalisierende Chiefs die Siedlung angriffen. Kein Wunder also, dass die meisten Missionare - obwohl offiziell strikt verboten - bis zu einem gewissen Grad im Waffengeschäft mitmischten, um die für sie „zuständigen“ Chiefs bei Laune zu halten. 


Gerade in den Anfangsjahren waren die Engländer nicht sonderlich erfolgreich, was die Hinführung der Māori zum christlichen Glauben anging. Was letztere mehr interessierte, war die Aneignung nützlicher Fertigkeiten: So lernte Chief Hongi Hikas Tochter Rongo in der hiesigen Mädchenschule das Lesen, Schreiben und Nähen. „... if you do anything, it will be done by teaching the children, as their hearts are not as hard as ours“, war die Auffassung ihres Vaters. 

Ob die Kinder der Māori die Missionsschule besuchten, hing auch davon ab, wie gut sie dort mit Lebensmittelrationen versorgt wurden. Neben den religiösen Pflichten und dem Unterrichten erschlossen und bestellten die Missionare neues Land, legten Gärten an und hielten Vieh.


Reverend Samuel Leigh, der den Ort im Jahr 1821 besuchte, beschrieb ihn folgendermaßen: „It resembles a neat little country village, with a good school-house lately errected in the centre. When standing on the eminence near, we can see cattle, sheep, goats, pigs and horses, houses, fields covered with wheat, oats and barley, and gardens richly filled with all kinds of vegetables, fruit trees, and a variety of useful productions. (...) The settlement forms a most pleasing object.“ Auch dem Künstler und Abenteurer Augustus Earle gefiel, was er bei seiner Ankunft 1827 sah: „An extraordinary contrast was now presented to our view, for we came suddenly in front of a complete little English village. Wreaths of white smoke were rising from the chimneys of neat weather-boarded houses. The glazed windows reflected the brilliant glow from the rays of the setting sun, while herds of fat cattle were winding down the hills, lowing as they leisurely bent their steps towards the farm-yard.“


Idyllisch ist es hier immer noch. Olaf und ich setzen uns auf die Terrasse des schnuckeligen Honey House Cafe, essen Lachs-Frittata und Kuchen und genießen die friedliche, hübsche Szenerie: die grüne Wiese vor uns, das gemächlich dahinströmende Wasser des Kerikeri River, auf dem weißes Federvieh herumpaddelt, die mit Muscheln bestreuten Gehwege, den blühenden Garten, durch den ein Hahn spaziert... Im Anschluss an diese kleine Pause machen wir einen Spaziergang am Kerikeri River entlang, durchqueren einen verzaubert wirkenden Wald, in dem Supplejack-Lianen sich wie Bündel dicker Stromkabel zwischen den Bäumen spannen, kommen an den Überresten eines winzigen Wasserkraftwerks vorbei, in dem ab 1930 Strom produziert wurde, und gelangen schließlich zu den Wharepuke Falls. Die Kaskaden an sich sind eher klein und nicht sonderlich spektakulär, aber die Szenerie insgesamt mutet einfach sehr hübsch an: Das Wasser ergießt sich über eine breite Felsenstufe in einen See, der von dichter Vegetation umschlossen ist.


Wir kehren um und fahren ins Zentrum von Kerikeri, wo ich noch ein paar Dinge einkaufe. Zurück im Häuschen mache ich mich ans Vorbereiten unseres Abendessens: Heute gibt es Hähnchenbrustfilets, gemischten Salat mit gebratenen Pilzen und Kartoffelsalat. Leider lässt sich der Terrier nicht blicken - die Filets wären ein Festmahl für ihn gewesen!