Gestern endete der Blog mit Essen, heute beginnt er damit (man sieht, wo meine Prioritäten liegen). Gegen neun Uhr sitzen wir am Frühstückstisch und lassen uns von Phil und seiner Frau Sue mit Müsli, frischen Früchten, Joghurt, Rührei, Toast und verschiedenen Aufstrichen verwöhnen, während wir mit einem Pärchen aus New Hamphire plaudern.
Eine Stunde später spazieren wir auf kaum befahrenen Straßen zum östlichen Ende des hübschen Hahei Beach, wo bereits ein Mitarbeiter von „Hahei Explorer“ zusammen mit seinem Hund auf die Teilnehmer der Bootsfahrt um elf Uhr wartet. Olaf und sind - typisch deutsch - die ersten, die sich blicken lassen. Nach und nach trudeln immer mehr Leute ein, die in zwei Gruppen eingeteilt werden. Wir müssen unsere Schuhe auszuziehen, bekommen Schwimmwesten und haben die Möglichkeit, wasserfeste Beutel für Kameras, Mobiltelefone etc. mitzunehmen. „Brauche ich wohl nicht, kann aber nicht schaden“, denke ich mir und stopfe meine Handtasche sowie das Handy in den Sack.
Der Himmel zieht sich immer mehr zu und ich hoffe, dass der Regen noch eine Stunde auf sich warten lässt - so lange soll der Trip nämlich dauern. Ein voll besetztes Schlauchboot kehrt von der früheren Tour zum Hahei Beach zurück. Sein Skipper sowie der Mitarbeiter von „Hahei Explorer“ versuchen, das Boot so in der Brandung zu halten, dass es einerseits nicht auf dem Sand aufsetzt und die Passagiere andererseits nicht ins tiefe Wasser springen müssen. Sobald alle das Boot verlassen haben, ist unsere Gruppe dran. Olaf und ich steigen zuerst ein und setzen uns ganz nach vorne - eine Wahl mit spritzigen Konsequenzen, wie wir ein paar Sekunden später feststellen. Während die übrigen Passagiere noch zusteigen, schwappt nämlich eine Welle ins Boot, platscht über unseren Schoß und den Seesack. Zum Glück habe ich meine Sachen darin verstaut! Die Tour beginnt also mit einem nassen Hosenboden.
Unser Skipper wirft den Motor an und wir brausen aufs Meer hinaus. Ich erinnere mich, dass ich die Bootstour in der Bay of Islands vor ein paar Tagen als „kleine Achterbahnfahrt“ betitelt habe. Sie war harmlos im Vergleich zu heute! Die hohen Wellen sorgen dafür, dass wir auf unserer Plastikbank entweder wie Jo-Jos auf und ab hüpfen oder unkontrolliert hin und her rutschen. Das Boot schießt über Wellenkämme, hebt ab, schlägt auf der nächsten Woge auf oder kracht ins Wellental hinunter - ein Schleudergang, den mein Mann und ich im Bug natürlich am stärksten spüren. Wir starren in die aufgewühlte See vor uns und klammern uns an den eingelassenen Griffen fest, damit wir nicht über Bord gehen. Ich liebe diesen wilden Rodeo-Ritt, jauchze und grinse die ganze Zeit über wie ein Honigkuchenpferd. Olaf teilt meinen Enthusiasmus zwar nicht gerade, hält sich aber wacker.
In der Champagne Bay werden wir langsamer und beäugen die bizarr geformten Gesteinstürme und -spitzen, die sich vor uns aus dem Wasser erheben. Ich finde es erstaunlich, dass die fast senkrecht aufragenden Felszacken nicht kahl sind, sondern sich diverse Büsche und Bäume daran festkrallen. Hartnäckige Burschen! Wir fahren zwischen zwei imposanten Felsnasen aus seltsam splittrig wirkendem Vulkangestein hindurch, die den Eingang zur kleinen Bucht bewachen. Hohe Felswände umgeben hier das türkisgrün schimmernde Wasser, und an ihrem Fuße gähnt dunkel der Eingang zu einer Höhle. Sie diente den Māori als Begrabungsstätte und soll nicht betreten werden.
Wir setzen unsere langsamere Fahrt entlang der Küste fort und kommen fünf Minuten später zum Big Bay Blowhole - für mich das absolute Highlight dieser Tour. Im Fels öffnet sich ein schmaler Eingang, durch den wir mit dem Boot ins Innere vordringen. Nach ein, zwei Biegungen gelangen wir in einen riesigen zylinderförmigen Raum, und nicht nur mir entfährt ein „WOW!“ und „Aaaaah!“. Die uns umschließenden Felswände ragen 24 Meter steil in die Höhe und bilden oben eine kreisrunde Öffnung, die an ihren Rändern von Bäumen bewachsen ist. Es sieht beinahe so aus, als würden sie der Schwerkraft trotzen, so weit scheinen sie sie sich in die Öffnung zu lehnen. Eine Versammlung von Ents, die stumm zu uns kleinen Hobbits hinunterschaut. Man kann sich den Anblick auch wie ein riesiges Auge vorstellen: Die Bäume formen die grüne Iris und der Himmel ist die weißblaue Pupille. “Te Pupuha“ nannten die Māori diese Höhle, was unserem Skipper zufolge „heiliges Wasser“ bedeutet. Es ist ein spiritueller Ort, an dem Verletzte Heilung suchten. Seinen eher nüchternen englischen Namen „Blowhole“ trägt er, weil es durchaus vorkommen kann, dass bei Flut Meerwasser aus seiner Öffnung hoch in die Luft schießt.
Wir verlassen dieses Schmuckstück der Natur und fahren zur Orua Sea Cave weiter, der zweitgrößten Höhle dieser Art in Neuseeland. Wir gleiten in ihren dunklen Schlund und bestaunen die Dimensionen in ihrem Inneren. Besonders schön ist es, den Himmelsausschnitt zu sehen, den das riesige Portal dunkel einrahmt. Wo Licht auf das Meerwasser in der Höhle trifft, leuchtet dieses in einem intensiven Türkisgrün.
Unsere Achterbahnfahrt setzt sich fort und bringt uns hinüber zur unbewohnten Insel Mahurangi (Goat Island), in deren Flanke zahlreiche Höhlenöffnungen klaffen. Wir nähern uns einem schmalen Eingang, durch den das Boot kaum zu passen scheint. Unser Skipper weiß aber natürlich, was er tut und bringt uns sicher in die Whale Sea Cave hinein (und wieder hinaus).
Unser vorletzter Stopp gilt DEM Touristenmagneten der Gegend, der auch als Drehort für „Die Chroniken von Narnia“ diente: Cathedral Cove. Zur Hochsaison kommen unserem Skipper zufolge normalerweise mehrere Tausend Menschen pro Tag hierher, doch heute hält sich der Massenauflauf in Grenzen, was wohl dem zunehmend schlechten Wetter zu verdanken ist. Hauptattraktion ist die imposante „Kathedralenhöhle“ mit spitz zulaufender Decke, welche die gleichnamige Bucht mit Mare’s Leg Cove verbindet. Flankiert wird die „Kathedrale“ auf beiden Seiten von interessant geformten Gebilden aus hellem Kalkstein: Te Hoho Rock und Smiling Sphinx Rock.
Auf unserer Rückfahrt halten wir noch kurz bei der Gemstone Bay, in der es einen „Schnorchelpfad“ gibt: Bojen mit Handläufen laden zum Verweilen und Ausruhen ein, daran angebrachte Infotafeln geben Aufschluss über die Unterwasserwelt vor Ort.
Am Hahei Beach verlassen wir unser Schlauchboot - mit nassem Hintern, durchgeschüttelten Knochen und einzigartigen Eindrücken von den Naturwundern der Umgebung. Zurück im B&B nehme ich erst einmal eine lange heiße Dusche. Den restlichen Nachmittag verbringen wir mit Schlafen, Blogschreiben, Musikhören, Lesen und Rumdaddeln am iPad.
Da es im kleinen Hahei nur zwei Restaurants gibt, nehmen wir am Abend eine halbstündige Fahrt zum größeren Küstenort Whitianga in Kauf, um dort bei „Sangam“ zu dinieren. Zum ersten Mal auf der Weltreise besuchen wir ein indisches Lokal und werden nicht enttäuscht. Die in hübscher Atmosphäre servierten Speisen schmecken lecker. Olaf nimmt Shrimps Tandoori als Vorspeise und Chicken Tandoori als Hauptspeise, ich starte mit Onion Bhaji, gefolgt von Mango Chicken. Auf der kurvigen Rückfahrt nach Hahei durchfährt uns ein Moment des Schreckens, als plötzlich ein Minikarnickel vor uns auf der Straße auftaucht. Olaf kann noch rechtzeitig ausweichen - das Langohr hat Glück gehabt!