Der neue Tag beginnt mit Nancys stilvoll zubereitetem Frühstück: Joghurt und frische Früchte stehen in Kristallschalen bereit, die weißen Stoffservietten stecken in silbernen, wie Libellen geformten Haltern. Die Hausherrin verwöhnt uns mit selbstgemachtem Müsli, Honig von der eigenen Farm, Marmelade, Toast und Eierspeisen. Nach dem Essen nimmt sich ihr Mann John viel Zeit und informiert uns über die zahllosen Sehenswürdigkeiten in der Gegend. Mein HHS schreit innerlich auf: Eigentlich müssten wir mindestens eine Woche hier bleiben, um all diese interessanten Orte zu besuchen!
Zurück im Zimmer entscheiden Olaf und ich schon einmal grob, was wir uns unbedingt ansehen wollen und buchen das ein oder andere Event. Anschließend macht mein Mann ein Nickerchen und um die Mittagszeit starten wir unsere Besichtigungstour. Wir statten zunächst dem „Lava Glass“ -Studio einen kurzen Besuch ab, in dem zwar teure, aber wunderschöne Arbeiten des Glaskünstlers Lynden Over ausgestellt sind - zum Beispiel Vasen mit dekorativen Schlieren, eingeschlossenen Bläschen oder eingearbeiteten Farbakzenten, die wie vulkanische Landschaften, Meereswellen oder üppige Wälder aussehen. Auch mit glitzernden Streifen durchzogene Briefbeschwerer, Trinkgläser in allen Farben und schön geschwungene Schalen stehen zum Verkauf bereit. Hätten wir nicht das Transport- und Platzproblem, würden wir bestimmt bei dem ein oder anderen kleinen Kunstwerk zuschlagen.
Unser nächstes Ziel liegt in der Nähe der Stadt Rotorua: Wai-O-Tapu (Heilige Wasser) mit dem Beinamen „thermales Wunderland“. Schon während der Anreise kommen wir immer wieder an Dampfschwaden vorbei, die aus dem Boden aufsteigen. Kein Wunder, befinden wir uns doch in der Taupō Volcanic Zone, die sich von den Vulkanen Tongariro, Ngaruhoe und Ruapehu 250 Kilometer weit in nordöstlicher Richtung bis zum aktiven Vulkan Whakaari (White Island) in der Bay of Plenty erstreckt und zwischen 30 und 80 Kilometer breit ist. In dieser Zone - einem der aktivsten vulkanischen Gebiete der Welt - gibt es 17 hydrothermale Felder. Wai-O-Tapu liegt am Rand der größten Caldera der südlichen Hemisphäre und bietet wirklich spektakuläre Einblicke in die „Eingeweide“ der Erde.
Wir spazieren zwei Stunden lang an eingestürzten Kratern, blubbernden Schlammbecken mit Rohöl, ausgedehnten Sinterterrassen, dem algengrünen See Ngakoro und großen Ameisenhaufen ähnelnden Schwefelhügeln vorbei. Besonders beeindruckend ist der Bereich, der „Artist‘s Palette“ genannt: Aus der größten Thermalquelle Neuseelands, dem 62 Meter tiefen und im Durchmesser 65 Meter großen Champagne Pool, strömt mineralienreiches Wasser und verteilt sich auf der versinterten Ebene. Wenn das abkühlende Wasser verdunstet, gibt es Mineralien frei, die in den unterschiedlichsten Farben wie grün-gelb (Schwefel/Arsen), orange (Antimon/Arsen) oder grau (Kohle) leuchten. Klares oder blaues Wasser enthält Alkalichlorid. Weiße Schwaden steigen aus dem Champagne Pool auf, treiben über die Ebene und hüllen die Besucher ein. Empfindliche Nasen haben im gesamten Wai-O-Tapu-Gebiet keine leichte Zeit: Die austretenden Gase müffeln mitunter gewaltig nach faulen Eiern! Der Krater Rua Pūmahu, an dem wir gegen Ende unseres Spaziergangs vorbeikommen, hält Witziges für die Ohren bereit: Der auf seinem Grund vor sich hinköchelnde Schlamm hört sich an, als wäre gerade eine Waschmaschine in Betrieb. Diese Geräusche fanden sogar in die „Herr der Ringe“-Trilogie Eingang, wo sie für Mordor-Szenen verwendet wurden.
Unser letzter Stopp ist ein Hingucker. Geradezu unnatürlich wirkt die Farbe des Roto Kārikitea, einem mit extrem sauren Wasser gefüllten Krater: Sein giftiges Neongrün resultiert aus der Ablagerung von Mineralien, die im Wasser schweben und das Sonnenlicht brechen. Beim Verlassen von Wai-O-Tapu sind wir uns einig: „Thermales Wunderland“ trifft es richtig gut - ein absolutes Highlight! Glück mit dem Wetter hatten wir auch, denn sobald wir im Auto sitzen, gießt es in Strömen.
Wir fahren nach Rotorua weiter, das wie Taupo an einem See vulkanischen Ursprungs liegt, jedoch deutlich mehr Einwohner besitzt und uns vom Stadtbild und der Uferpromenade her weniger zusagt als „unser“ Örtchen. Wir setzen uns für eine Stunde ins zugige McDonald‘s und kümmern uns um das „Futter“ für unsere Website, und dann wird es schon Zeit für das Abendprogramm im Tamaki Maori Village. Wir fahren zum Treffpunkt am Bürogebäude in Rotorua, wo mehrere Reisebusse uns und andere Touris einsammeln - insgesamt sind wir wohl an die 250 Leute! Das kann ja heiter werden... Zum Glück sorgt Fahrerin Aroha, die unseren Bus namens „Kiwi“ zum 16 Kilometer entfernten Ort des Geschehens bringt, gleich für gute Stimmung. Sie bringt uns ein paar Māori-Wörter bei, zum Beispiel das allgegenwärtige und vielseitige „Kia ora“, das wörtlich „Möge es dir gutgehen“ bedeutet und zur Begrüßung sowie zum Abschied verwendet wird. Die Māori benutzen es aber auch, um sich zu bedanken oder Zustimmung zu signalisieren.
Nach dieser kleinen Sprachlektion verlangt Aroha von uns, dass wir als „Kiwi“-Stamm einen Chief wählen - er soll stark, mutig, intelligent und am besten gutaussehend sein. Aus Mangel an geeigneten Kandidaten wird schließlich Vincent unser Chief, ein kleiner, etwas schüchtern wirkender Malaysier mit Glatze. Er muss nach vorne kommen und uns zum Rudern animieren, denn Aroha erklärt den Bus zum „Waka“, zum Kanu. Wir tun so, als hätten wir Paddel in der Hand, Vincent schreit auffordernd „Te Waka“, wir brüllen „Hī“ zurück und stoßen dann unsere Arme nach unten. Total bescheuert, aber auch lustig.
Schließlich kommen wir am Rand des nach alten, präeuropäischen Traditionen aufgebauten Dorfes im Tawa Forest an, das von Holzpalisaden und furchterregend dreinblickenden Statuen beschützt wird. Die Chiefs unserer fünf Stämme (= fünf Busse) müssen vortreten und ihren Mut in der Willkommenszeremonie Pōwhiri unter Beweis stellen. Aus dem dunklen Wald dröhnen aufgebrachte Männerstimmen und im strömenden Regen landet plötzlich ein Kanu mit mehreren Kriegern an: barfüßig, mit nacktem Oberkörper, die Arme großflächig tätowiert, die Gesichter bemalt. Sie schwingen ihre Taiaha, die traditionellen Kampfstäbe, drängen auf unsere Chiefs zu, schnauben, reißen die Augen auf, brüllen. Ein ziemlich einschüchternder Anblick! Nachdem unsere Chiefs jedoch erfolgreich die Herausforderung bewältigt und die von den Kriegern offerierten Farnblätter als Zeichen der Freundschaft und des Friedens angenommen haben, beruhigen sich die Māori. Ihr Chief, ein kleiner runder Bärtiger, begrüßt unsere „Häuptlinge“ mit dem Hongi, dem zweimaligem Aneinanderdrücken der Nasen. Eine grauhaarige Frau heißt uns mit einem Karanga (Ruf) willkommen und schließlich dürfen wir das Dorf betreten.
Leider ist das Wetter dermaßen schlecht, dass wir uns kaum im Freien aufhalten können und von den Gebäuden fast gar nichts sehen. Wir stoppen kurz an der Stelle, wo unsere Speisen für das spätere Abendessen seit Stunden vor sich hin garen. Hāngi nennt man diese Art des Kochens: Fleischstücke und verschiedenes Gemüse wurden in Blätter eingewickelt und auf heiße Steine gelegt, die sich in zwei Erdlöchern befinden. Nasse Säcke bedecken die Öffnungen und sorgen dafür, dass der Dampf im Loch bleibt.
Bevor es jedoch ans Essen geht, erleben wir noch eine kulturelle Aufführung. Zwölf Männer und Frauen präsentieren uns beim Singen ihre Stimmgewalt, zeigen den Poi-Tanz (an Schnüren befestigte Bälle werden von den Frauen im Kreis geschwungen), Stabdrehen und den Umgang mit der Nahkampfwaffe Taiaha. Auch der Kriegstanz Haka samt Schenkelklopfen, Augenrollen und Zungenblecken darf natürlich nicht fehlen. Wir amüsieren uns köstlich, als männliche Besucher auf die Bühne geholt werden und einen Haka-Crashkurs erhalten. Was bei den Māori beeindruckend und einschüchternd wirkt, sieht bei den Touris einfach nur lustig aus.
Nach dem Kulturprogramm wechseln wir zu einem anderen Gebäude hinüber, wo wir uns vom Hāngi-Büfett bedienen können. Ich probiere nichts von dem Fleisch, aber das Gemüse schmeckt leicht rauchig. Der Abend im Maōri-Dorf endet mit mehreren, von den Angestellten vorgetragenen Liedern - auch unsere Busfahrerin Aroha ist mit von der Partie. Anschließend schaukeln wir im Bus nach Rotorua zurück. Ein junger Māori fährt mit, der jede im Wagen vertretene Nation nötigt, ein Lied zu singen - möglichst in der Landessprache. Chinesen, Russen, Australier, Malaysier, Briten, Schweizer - alle müssen ran. Olaf und ich sind die einzigen Deutschen, können uns also auch nicht drücken. Ich gebe das Schlaflied „Guten Abend, gut‘ Nacht“ in der Vertonung von Johannes Brahms zum Besten - eines der wenigen deutschen Lieder, die ich kenne. Nach dem gefühlt hundertsten „Kia ora“ dieses Abends geht der „Kiwi“-Tribe in Rotorua schließlich wieder auseinander. Mein Fazit zum Programm im Tamaki Maori Village: Eine Massenveranstaltung, die aber dennoch sehenswert ist. Gerade die humorvolle Art der beteiligten Māori hat vieles - das mittelprächtige Essen, den Starkregen, die Touristenhorden, das Abklappern diverser Hotels - wieder wettgemacht.
Nach einstündiger Rückfahrt von Rotorua nach Taupo kommen wir gegen 23:30 Uhr endlich in unserem B&B in Taupo an. Was für ein langer, interessanter, abwechslungsreicher Tag!