Als wir heute Morgen aufwachen und die Vorhänge zurückziehen, flutet strahlender Sonnenschein ins Zimmer. In mir erwachen die Hummeln und summen: „Wohin fliegen wir, was machen wir an diesem herrlichen Tag?“ Zunächst einmal ignoriere ich die Biester, frühstücke gemütlich mit meinem Mann am großen Holztisch im Gemeinschaftsraum und lasse mir von Fran die Geschichte ihres B&B erzählen. Ein pensioniertes, älteres Ehepaar hatte versucht, hier in der Wildnis zwischen Kaiteriteri und Mahau ein paar Zimmer relativ günstig an Touristen zu vermieten. Die Rechnung ging nicht auf, die Betreiber zahlten ständig drauf und wollten schließlich verkaufen. Bei dieser Gelegenheit schlugen Fran und ihr Mann zu - ohne jemals im Hotelgewerbe gearbeitet zu haben. Sie ist nämlich Marketing Managerin, ihr Mann Rechtsanwalt. Seit 2016 bemühen sie sich, ein tragfähiges Konzept zu entwickeln bzw. auszubauen. Luxuriös und ökologisch zugleich soll die Lodge sein. Sie renovieren und verbessern ständig, arbeiten hart und viel, um ihren Traum Schritt für Schritt in die Tat umzusetzen. Soweit ich das beurteilen kann, sind sie auf einem guten Weg! Gerade erweitern sie den Spa-Bereich im Freien um eine neue Massage-Hütte.
Nach der ausgiebigen Plauderei ist es an der Zeit für mich, die zunehmend ungeduldigen Hummeln zufriedenzustellen. Da Olaf heute lieber auf dem Zimmer relaxen möchte, habe ich Carte Blanche. Ich entscheide mich für eine mehrstündige Kajaktour namens „Afternoon Delight“, die um halb zwölf beginnt. Mein Mann bringt mich nach Marahau, wo die Flut mittlerweile das Inlet gefüllt hat und die gestrandeten Boote von gestern nun im Wasser schaukeln, und setzt mich beim Tourenanbieter „Kahu Kayaks“ ab. Dort werde ich mit einem Dry Bag für mein Handy sowie einer Schwimmweste ausgestattet und klettere gemeinsam mit ein paar anderen Kunden ins „Water Taxi“ - ein größeres Boot, das sich auf einem Anhänger befindet. Das Team hievt mehrere knallgelbe Kajaks auf die hinteren Sitzreihen und schnallt sie fest, und dann kann es losgehen. Ein Traktor zieht den Anhänger über die Küstenstraße bis zum Strand und fährt so weit ins Wasser, dass unser Boot hineinrutschen kann.
Wir machen zunächst einen kleinen Umweg zum „Split Apple Rock“ - eines der beliebtesten Fotomotive der Südinsel. Wie der Name es schon vermuten lässt, sieht die von grünem Wasser umgebene Felsformation aus Granit wie ein Apfel aus, den ein Messer in zwei gleiche Teile gespalten hat. Unser Skipper verweist grinsend auf die Ähnlichkeit zu Pac-Man. Ob Apfel oder Pac-Man - jedenfalls ein kurioser Anblick.
Unser Boot kehrt nach diesem Abstecher um und fährt nun in nördlicher Richtung die Küste entlang, die ab der Tinline Bay ein Teil des Abel Tasman National Parks ist - mit 225 Quadratkilometern Neuseelands kleinster, aber sehr beliebter Nationalpark. Viele der rund 220.000 Besucher pro Jahr wandern den malerischen, 51 Kilometer langen Coast Track entlang.
Auch große Teile des dem Park vorgelagerten Meeresgebiets stehen unter Naturschutz. Wir halten zunächst am hübschen Observation Beach an, wo die Kanus abgeladen werden und alle anderen Passagiere aussteigen. Der Skipper bringt mich noch weiter nach Norden und setzt mich bei der großen Bark Bay ab, wo ich zu der Gruppe stoße, die schon seit Vormittag im Kajak unterwegs ist und sich nun am Strand erholt. Ich nutze die Gelegenheit, um die weitläufige Bucht ein wenig zu Fuß zu erkunden und die vielen Muscheln zu bewundern, die im goldenen Sand herumliegen.
Schließlich erklärt unser Guide Troy die Pause für beendet, gibt mir einen kurzen Kajak-Crashkurs und los geht‘s! Zu viert paddeln wir aufs ruhige Meer hinaus - die Deutsche Sabine und ihr Freund im ersten, Troy und ich im zweiten Boot. Die nächsten zwei Stunden verbringen wir auf dem Wasser, wo wir in südlicher Richtung die Küste erkunden - eine schöne, hügelige Gegend mit dichter Vegetation, die fast bis zum klaren, grünen Wasser heranreicht. Das Ufer wird von großen Felsbrocken, zerfurchten Gesteinsschichten und goldenen Traumstränden gesäumt. Kormorane bevölkern eine kleine Felseninsel, auch ein paar Seelöwen lassen sich blicken. Troy, ein hagerer Naturbursche aus der Gegend, versorgt uns auf unterhaltsame Art mit Infos zu Flora und Fauna der Umgebung. Man merkt sogleich, dass er seinen Traumjob gefunden hat: Hier auf dem Wasser ist er in seinem Element. Er kann tagtäglich tun, was er liebt, und wird sogar noch dafür bezahlt. „Wer kann so etwas schon von sich behaupten?“, fragt er lachend in die Runde.
Wir quatschen uns warm, reden über die Māori, meine Erfahrungen in Polynesien und so weiter und so fort, bis wir irgendwann bei Themen wie Fluch und Segen unser digitalisierten Welt ankommen. Troy hat vor ein paar Wochen versehentlich sein Smartphone geschrottet (er überfuhr es mit dem Auto) und genießt seitdem das Dasein ohne die Social Media-Mühle, ohne ständige Erreichbarkeit.
Ich bin froh über die Plauderei, denn sie lenkt mich von der körperlichen Anstrengung ab. Schon nach zehn Minuten Paddelei haben sich meine Arme bemerkbar gemacht - das kommt davon, wenn man Pudding statt Muskeln aus Stahl besitzt und nicht die richtige Technik anwendet. Ich beiße die Zähne zusammen, finde mit der Zeit in den Rhythmus und gewöhne mich einigermaßen an die Bewegungen, dennoch werden meine Arme schwerer und schwerer. Ich bin also nicht böse, als wir an unserem Ziel, der Anchorage Bay, ankommen. Mit der körperlichen Ertüchtigung ist es allerdings nicht vorbei, denn Troy führt uns noch einen bewaldeten Hügel hinauf - in Rekordgeschwindigkeit, da die Zeit bereits drängt. Auf dem Weg nach oben zeigt er uns noch ein paar Pflanzen wie die Aloe, den Silberfarn und das Myrtengewächs Kānuka (Kunzea ericoides). Auf der Aussichtsplattform bewundern wir in Windeseile die malerische Küstenlandschaft, bevor Troy uns wieder zum Strand hinunterscheucht. Dort erwartet uns schon das mit Passagieren und acht Kajaks vollgepackte Wassertaxi, das uns nach Marahau zurückbringt.
Mein lieber Mann, der den ganzen Tag fleißig Fotos aussortiert hat, holt mich von „Kahu Kayaks“ ab. Mittlerweile freue ich mich richtig darauf, meine klamme Kleidung abzustreifen und eine heiße Dusche zu nehmen. Doch vorher lerne ich noch Frans zauberhafte Hündin Pepper kennen, die mich aufs Freundlichste begrüßt, mir feuchte Bussis gibt und sich ausgiebig kraulen lässt.
Am Abend fahren Olaf und ich zum Essen nach Marahau. Da das „Hooked“ geschlossen ist, besuchen wir das einzige andere Lokal des Ortes: das sehr rustikale, schlicht eingerichtete „Park Café“. Trotz der kühlen 14 Grad Außentemperatur sitzen einige Gäste im Freien. Da sämtliche Fenster und Türen des Cafés offen stehen, ist es drinnen sowieso kaum wärmer als draußen. Wir lassen die Jacken an, während wir unsere Pizzen verspeisen. Als wir zur Lodge zurückkommen, himmeln wir einmal mehr das wunderbare Sternenzelt über unseren Köpfen an...