Ab sieben Uhr ist für mich an Schlaf nicht mehr zu denken, denn direkt vor unserem Zimmer befindet sich der offene Wohn- und Küchenbereich des B&B, den ein paar Frühaufsteher bereits jetzt in Beschlag nehmen. Als wir später selbst frühstücken wollen, muss ich aufpassen, dass mir die Gesichtszüge nicht entgleiten. Auf einem Tischchen steht eine magere Auswahl an Toast, abgepackten Aufstrichen - darunter das berüchtigte Vegemite - und Cornflakes bereit. Geschirr und Besteck holt man sich aus den Regalen und Schubladen, gegessen wird an einem langen, mit Essensresten verklebten Tisch. Lecker! So ein liebloses, enttäuschendes Frühstück habe ich in einem B&B noch nie erlebt. Mein Mann und ich sind nicht wirklich traurig, als wir die Unterkunft wieder verlassen!
Ein Taxi setzt uns bei der Chartergesellschaft „East Air“ am Flughafen ab, die uns heute endlich zu unserem eigentlichen Reiseziel in Australien, Lizard Island am Great Barrier Reef, bringen soll. Als die Dame am Empfang etwas von fünf Kilo Übergepäck und Nachliefern von Koffern zu einem späteren Zeitpunkt murmelt, geht Olaf auf die Barrikaden. Seine entschiedene Haltung zeigt Wirkung: Nach Rücksprache mit dem Inselresort gibt die Rezeptionistin doch noch grünes Licht für unsere Siebensachen.
Gegen elf Uhr steigen wir nach einer kurzen Sicherheitseinweisung mit acht weiteren Passagieren in ein kleines, weißes Flugzeug vom Modell 208B Caravan und befinden uns wenige Minuten später schon in der Luft. Wir lassen die Stadt Cairns hinter uns und schlagen einen Kurs nach Norden ein, den wir bis zu unserem 250 Kilometer entfernten Ziel beibehalten werden. Diesiges Wetter sorgt zunächst für ein interessantes Farbenspiel: Das von kleinen Lichtinseln gesprenkelte Meer scheint nahtlos in den wolkenverhangenen Himmel überzugehen; wie Wasserfarben fließen die Blau- und Grautöne ineinander, die Grenzen verschwimmen.
Nachdem wir unzählige Riffs überflogen haben, die sich als bräunliche „Fladen“ mit türkis leuchtendem Rand vom dunkelblauen Ozean abheben, nähern wir uns schließlich nach einer Stunde der zehn Quadratkilometer großen, grün bewachsenen Lizard Island. Ihren jetzigen Namen erhielt sie von niemand Geringerem als Kapitän James Cook, die Dingaal Aborigines kannten sie als Dyiigurra und betrachteten sie als heiligen Ort. Für Olaf und mich hat die Insel ebenfalls eine besondere Bedeutung: Vor zehn Jahren verbrachten wir während unseres Honeymoons in Australien einige wunderschöne Tage auf ihr. Wir erinnern uns gerne an die traumhaften, verschwiegenen Buchten, den außergewöhnlichen Service und die Tauchgänge am fantastischen Great Barrier Reef zurück und sind gespannt, ob es uns hier ein Jahrzehnt später immer noch so gut gefällt.
Wir landen auf dem kleinen Flugplatz und werden im Golfcart zur Lobby gebracht, wo bereits ein Gläschen Champagner auf uns wartet. Der General Manager Paul begrüßt uns Neuankömmlinge mit einer kleinen Ansprache, danach wechseln Olaf und ich ins angrenzende Restaurant über, um dort etwas zu Mittag zu essen. Die Sweetlip (Lethrinus miniatus, ein hier heimischer Fisch) mit Gemüse sowie Zucchini- und Kartoffelsalat schmeckt sehr gut und entschädigt uns für das karge Frühstück am Morgen.
Nach dem Essen werden wir zum Bungalow Nummer 36 begleitet, unserer geräumigen Unterkunft für die nächsten acht Nächte. Vor zehn Jahren waren wir in einer der kleinen Oceanview Villas auf dem Hügel untergebracht und von der billig wirkenden Einrichtung, dem eher dunklen Zimmer und dem spartanischen Bad nicht sonderlich angetan - das einzige Haar in der Suppe unseres ansonsten wunderbaren Aufenthalts. Aufgrund der damaligen Erfahrung haben wir nun eine der teureren Beachfront Suites gebucht. Eine gute Entscheidung: Der in hellen Tönen eingerichtete Hauptraum wirkt luftig, das Bad hochwertig, die große Fensterfront gewährt einen schönen Blick aufs Meer. Auf der großen Terrasse lädt ein Daybed zu entspanntem Rumlümmeln ein. Nur eine Sache irritiert uns: Auf den Zimmern gibt es kein WiFi. Um Zugang zum (lahmen) Internet zu haben, muss man sich im Bereich der Lobby aufhalten - in der heutigen Zeit geradezu anachronistisch! Ich nicht mal kurz meine WhatsApp-, Messenger-Nachrichten und Mails lesen, bei Facebook vorbeischauen, das Wetter oder Infos für meinen Blog googeln. Mal sehen, wie ich Internetjunkie mit dieser Einschränkung zurechtkomme...
Am Nachmittag gehen wir beim Beach Club vorbei, verschieben die vom Hotel vorgebuchten Tauchgänge nach unseren Vorstellungen, füllen Fragebögen zu unserem Gesundheitszustand aus und nehmen vorsichtshalber schon mal eine Schnorchelausrüstung mit. Auf dem Rückweg über die Lobby legen wir eine Internet-Session ein - so viel zum Thema, wie lange ich es aushalte, offline zu sein!
Nachdem wir den restlichen Nachmittag entspannt auf dem Zimmer verbracht haben, finden wir uns am Abend ohne wirklichen Hunger im stimmungsvoll beleuchteten Restaurant ein. Der Appetit kommt jedoch beim Essen: Das Büfett lockt mit verschiedenen Salaten, Meeresfrüchten (Austern, Garnelen, Thunfisch-Sashimi...), Käseplatten, Obst und einem Schokobrunnen. Dazu bestellen wir noch einen warmen Hauptgang: Jakobsmuscheln in Honigmarinade. Nach der Schlemmerei folgt erneut ein Internet-Stopp in der Nähe der Rezeption und anschließend schauen Olaf und ich uns noch ein paar Fotos und Videos von unserer lieben, hübschen, schlauen Momo an. Sie fehlt uns!