Um 06:20 Uhr reißt mich der Handywecker aus dem Schlaf - viel zu früh für meinen Geschmack. Olaf, der ein paar Minuten nach mir ins Bad schlappt, geht es nicht anders. In müdem Schweigen machen wir uns fertig und gehen dann zum Restaurant, um zu frühstücken. Ich bringe jedoch gerade mal ein wenig Müsli herunter. Die alte Leier: Wenn der letzte Tauchgang schon Jahre her ist, bin ich richtig nervös, verbrauche durch das schnelle Atmen unter Wasser viel zu viel Luft und neige dazu, beim Safety Stop auf fünf Metern unfreiwillig nach oben zu entschweben. „Mein kleiner Stopfen“, neckt Olaf mich dann.
Es kommt mir sehr entgegen, dass uns die Verantwortliche des Wassersportzentrums eine Auffrischungssession in der Anchor Bay verordnet hat, bevor es aufs Boot geht. Die junge Tauchlehrerin Lauren geht kurz mit uns die Ausrüstung durch, bevor wir in unsere langen schwarzen Anzüge schlüpfen, die uns vor den Stichen und Nesseln von Meeresgetier schützen sollen. Normalerweise kenne ich lange Wet Suits als perfide Folterfallen: Sie sind immer irgendwie zu eng, man quält sich, den steifen Stoff millimeterweise hochzuziehen und an die richtigen Stellen zu bugsieren, ohne ihn mit den Fingernägeln aufzureißen. Anschließend fühlt man sich wie in Plastik eingeschweißt, köchelt in seinem eigenen Sud und sehnt das Einweichen im Wasser herbei. Nach dem Tauchgang bedarf es helfenden Händen, die unsanft die nasse zweite Haut von den Schultern reißen und über die Arme nach unten ziehen.
Welch angenehme Überraschung, als ich nun meinen Anzug anprobiere: Ich gleite beinahe mühelos hinein, der leichte, elastische Stoff liegt angenehm auf der Haut. Klasse!
Nachdem wir unsere gewichtige Ausrüstung umgeschnallt haben, staksen wir schwerfällig über den Strand und schnurstracks ins 29 Grad warme Wasser hinein. Auf Tauchstation absolvieren Olaf und ich einige Aufgaben: Atemregler aus dem Mund nehmen, weiter ausatmen, Lungenautomat wieder in den Mund schieben und mit einer Luftdusche das Wasser aus dem Apparat herauspressen. Die gleiche Prozedur erfolgt dann noch einmal in der verschärften Variante: Wir lassen den Atemregler von uns wegtreiben und müssen ihn anschließend mit einer bestimmten Technik wieder einfangen. Nächste Aufgabe: Brille fluten und anschließend ausblasen. Zum Schluss sieht Lauren sich noch an, wie gut wir mit dem uns zugedachten Bleigewicht tarieren können. Da alles klappt, steht einem richtigen Tauchgang nichts mehr im Wege - zumal meine Nervosität deutlich nachgelassen hat!
Nach und nach trudeln andere Gäste am Beach Club ein, die ebenfalls am Vormittagsprogramm teilnehmen - die eine Hälfte taucht, die andere Hälfte schnorchelt. Mit Hilfe von „Nemo“, einem Glasbodenboot mit geringem Tiefgang, werden wir zum deutlich größeren Tauchboot „Serranidae“ gebracht. Während wir bei schönstem Sonnenschein Lizard Island hinter uns lassen, gibt Lauren unserer kleinen Dreiergruppe noch ein paar Infos zum heutigen Dive Spot, der Northern Direction Island. Nach dem Briefing wird der Seegang mit einem Mal deutlich rauer und macht meinen Toilettenbesuch zur akrobatischen Übung. Zwar schaffe ich es, nicht vom „Thron“ geschleudert zu werden, doch als ich mich wieder aus dem Kabuff herausgekämpft habe, fühle ich mich plötzlich hundeelend. Ich bin seekrank! Soweit ich mich erinnern kann, passiert mir das erst zum zweiten Mal in meinem Leben. Na, wunderbar. Um meinen Zustand nicht zu verschlimmern, klettere ich die Leiter zum Steuerstand hoch und starre von dort aus auf den Horizont.
Der Skipper Matt hat aufgrund der unruhigen See alle Hände voll zu tun, denn sobald eine große Woge ungünstig angerauscht kommt, schlingert das kleine Schiff mittlerweile ganz ordentlich - vom Auf und Ab, dem Heben und Aufprallen will ich gar nicht erst reden. Die Crew bespricht sich und trifft eine Entscheidung: Eine Weiterfahrt auf diesem Kurs ist nicht angeraten. Unser ursprüngliches Ziel wird verworfen und ein Ort namens „Bank‘s Bank“ als Ersatz ausgewählt. Nach circa einer halben Stunde langsamer Fahrt durch ruhigeres Gewässer (was meiner Übelkeit sehr entgegenkommt) erreichen wir unseren Tauch- und Schnorchelplatz im Inner Reef. Das Wasser leuchtet hier fantastisch in Grün-, Türkis- und Blautönen. Wir Taucher machen uns startklar, watscheln mit Hilfe der Crew zur Heckkante und springen ins angenehm temperierte Nass. Dann geht es ab in die Tiefe...
Bei getrübter Sicht erspähen wir ein paar bunte Fische (Nemo!) und größere Muscheln. Einige Korallen leuchten gelb, rosa, orange, violett oder blau, wir kommen jedoch auch an vielen ausgebleichten Blöcken vorbei. Ein mittelprächtiger Tauchspot, mit dem ich aber trotzdem ganz zufrieden bin, weil ich Zeit habe, mich mehr auf mich selbst konzentrieren: Druckausgleich durchführen, ruhig atmen, zielgerichtet tarieren, Finimeter im Auge behalten, die verbleibenden Bar per Handzeichen kommunizieren, Maske ausblasen... Alles klappt wie am Schnürchen, sogar der Sicherheitsstopp. Heute bin ich kein Stopfen! Mit reichlich verbleibender Pressluft tauchen wir wieder auf und strampeln in Richtung des Bootes, was aufgrund des Wellengangs gar nicht so einfach ist. Die Crew wirft uns ein Seil zu und hilft uns triefnassen Meeresungeheuern anschließend an Bord. Wir werden mit frischem Obst und süßen Teilchen versorgt und schippern nach Lizard Island zurück.
Da ich durchaus noch ein wenig mehr Sport vertragen kann, besuche ich am Nachmittag den heruntergekühlten Fitnessraum, den ich ganz für mich alleine habe. Völlig ungestört verausgabe ich mich eine Stunde lang auf der Matte und beim Hanteltraining.
Am frühen Abend genießen Olaf und ich an unserem „Hausstrand“ die prächtigen Farben des Himmels und des Meeres und schwimmen bei Sonnenuntergang noch eine Runde im klaren Wasser. Nach dem für meine Verhältnisse gerade exzessiven Sportprogramm des heutigen Tages bin ich hungrig wie ein Wolf. Ein leckeres Drei-Gänge-Menü (Thunfisch-Tartar, Kürbisrisotto, Schokodessert) im Restaurant behebt diesen Zustand jedoch schnell... Es folgt der bereits zur Routine gewordene Internet-Stopp im Barbereich neben der Rezeption. Als ich irgendwann von meinem Handy aufblicke, stelle ich fest, dass das kleine Areal von Internetsüchtigen belegt ist. Sie sitzen und lümmeln aneinandergereiht auf Stühlen und Sofas und starren in ihre Smartphones. Auf engem Raum frönen wir also unserem Laster - ein bisschen so wie Raucher in ihrer Ecke, nur eindeutig ruhiger... Olaf ist übrigens wieder mit dem Hotel versöhnt: Heute lässt sich zumindest über das Festnetz eine Verbindung zu Deutschland herstellen.