Ich stehe heute früh am Morgen auf, um Ordnung in meine Habseligkeiten zu bringen und sie wieder in Koffer und Rucksack zu verstauen. Nachdem wir ein letztes Mal im „Village Café“ gefrühstückt haben, holt Herr Wan meinen Mann und mich um neun Uhr ab. Eigentlich geht unser Flug erst um 13:50 Uhr, doch Kim hat auf mögliche Straßensperren hingewiesen und uns geraten, einen großen zeitlichen Puffer einzuplanen. Gesagt, getan.
Glücklicherweise spielt der Verkehr nicht mehr verrückt als sonst und wir brauchen nur eine Stunde zum Flughafen. Auch der Check-In und die Kontrollen laufen so reibungslos ab, dass noch reichlich Zeit für einen entspannten Aufenthalt in der riesigen First Class Lounge von Air China bleibt. Wir bedienen uns am Büfett, das mit seinem Sushi-Kühlschrank, Shrimp-Dumplings und pikant-scharfen Hauptspeisen klar auf asiatische Geschmäcker ausgelegt ist.
Kaum hat sich unsere Maschine der „Shenzhen Airlines“ gegen 14:20 Uhr in die Lüfte erhoben, nicke ich auch schon ein und verpasse einen Teil des zweieinhalbstündigen Fluges. Immerhin bin ich wieder wach, als der Pilot den Sinkflug einleitet und sehe einen Teil von Japan aus der Vogelperspektive: viele kleine Inseln, ausgedehnte Küstenstädte, deren Ausläufer bis in die bewaldeten Berge reichen, einen Flickenteppich aus beigen, braunen und grünen Feldern. Kurz vor der Ankunft am Flughafen Kansai wird es spannend, weil wir dem Meer immer näher kommen und knapp über der Wasseroberfläche dahinrasen. Es sieht tatsächlich so aus, als würden wir gleich in die Bucht von Osaka eintauchen. Schließlich kommt doch noch die Landebahn der künstlich angelegten Insel in Sicht - ein Glück!
Nachdem wir das Flugzeug verlassen haben, müssen wir die Abdrücke unserer Zeigefinger einscannen und uns fotografieren lassen. Dann rücken wir mit ausgefüllten Einreisepapieren zu den Schaltern der Grenzbehörden vor. Ich bin zufrieden: Alles läuft viel reibungsloser ab als bei unserer Ankunft in China. Tja, da habe ich mich etwas zu früh gefreut. Die Polizistin am Schalter dreht und wendet meinen Pass, scheint irritiert zu sein, befragt mich aber nicht dazu. Sie greift stattdessen zum Hörer und telefoniert. Kurze Zeit später nähert sich eine andere Dame dem Schalter, nimmt meinen Pass und fordert mich auf, mitzukommen. Olaf wird von dem Beamten an einem der Nachbarschalter ebenfalls nicht durchgelassen. Wir dackeln also beunruhigt hinter der Angestellten hinterher, die uns in ein Büro führt und uns auffordert, im Warteraum Platz zu nehmen, in dem bereits ein paar andere Passagiere sitzen. Als mir zu Ohren kommt, dass die Russin am Nebentisch nicht einreisen darf und die Nacht über in der Wartehalle bleiben muss, werde ich nervös. Bislang hatten wir nicht wirklich Probleme mit unseren vorläufigen Pässen - warum stellen sich jetzt die Japaner so an? Glücklicherweise warten wir nur eine Viertelstunde, dann gibt es Entwarnung. Unsere Dokumente werden uns zurückgegeben und wir dürfen einreisen.
Hinter der Gepäckausgabe wartet bereits ein Chauffeur der Firma „Black Lane“, der uns zu einem bequemen Minibus führt und die 110 Kilometer lange Fahrt von Osaka nach Kyōto antritt. Während die Nacht anbricht und wir durch sich endlos dahinziehende Stadtgebiete kommen, stelle ich meine Sitzlehne nach hinten und höre Musik. Schließlich erreichen wir unsere Unterkunft für die nächsten zwei Nächte, das „Ryotei Rangetsu“. Es ist im traditionellen japanischen Stil gehalten: Tatami-Matten aus Reisstroh bedecken den Boden und wir werden von einer freundlichen jungen Dame im Kimono aufgefordert, unsere Schuhe abzustreifen. Dann führt sie uns zu einer Schiebetür (Fusuma), hinter der sich ein Speisezimmer verbirgt. Die Fensterfrint gewährt hübsche Blicke in den Zen-Garten, wohingegen die Einrichtung äußerst zurückgenommen und schlicht ist: Außer einem Esstisch, einem Beistelltisch und drei Stühlen befindet sich nichts im Raum, kein Bild ziert die Wände.
Eigentlich ist die Küche bereits geschlossen, aber für uns wurde eine Ausnahme gemacht. Die junge Dame kredenzt uns eine Reihe von Schälchen, Bechern und Bentō-Boxen, die japanische Leckereien enthalten: Miso-Suppe, Sashimi und diverse andere Fischgerichte, eingelegtes Gemüse, Reis etc. Als Nachspeise gibt es Melone und grünen Tee. Olaf zeigt sich von dem Essen völlig begeistert, ich fremdele noch ein wenig mit bestimmten Speisen.
Als wir gesättigt sind, zeigt die Dame uns das Zimmer „Matsekazu“(was wohl so viel wie „Blatt im Wind“ bedeutet), einen traditionellen japanischen Raum (Wahitsu) mit allem, was dazu gehört: Zwei Futons liegen auf dem mit Tatami-Matten bedeckten Boden, anhand von Schiebetüren (Fusuma und die lichtdurchlässigen Shōji) lässt sich der Schlaf- und Wohnbereich vom Gang und von den Sitzkissen (Zabuton) an der Fensterfront abtrennen. Neben den Futons befindet sich ein niedriger Tisch sowie zwei Sitzstühle ohne Beine (Zaisu), und auch eine Wandnische (Tokonama), die mit einer senkrecht hängenden Bildrolle (Kakemono) und einer Blumenvase ausgestaltet ist, darf nicht fehlen.
Während im Wohnraum die Tradition hochgehalten wird, herrscht auf der Toilette Hightech: Das Dusch-WC oder „Washlet“, dessen Deckel sich automatisch hochklappt, verfügt über eine beheizte Brille, ein eingebautes Bidet mit wählbarer Wassermenge und Platzierbarkeit des Strahls sowie über ein Heißluftgebläse. Das Bedienelement ist nicht nur mit japanischen Schriftzeichen, sondern auch mit ein paar Symbolen versehen, sodass ich mir die Funktion der meisten Tasten zusammenreimen kann und nicht auf gut Glück herumdrücken muss!
Vor dem Schlafengehen lümmeln Olaf und ich auf den Futons am Boden herum. Trotz der ungewohnten Umgebung finde ich es toll, mal nicht in einem auf westliche Bedürfnisse und Geschmäcker abgestimmtem Hotelzimmer zu nächtigen, sondern ein wenig in die japanische Lebensart einzutauchen. Und sollte ich heute Nacht unruhig schlafen und aus dem Bett rollen, dann falle ich zumindest nicht tief