Nachdem wir ein letztes Mal auf dem Futon am Fußboden geschlafen haben, machen wir uns und unser Gepäck reisefertig. Olaf genießt wieder das volle japanische Frühstück, während ich sehr froh über die Früchte bin, die mir serviert werden.
Wir verabschieden uns um halb zehn von unseren superhöflichen Gastgebern, die uns noch an der Straße hinterherwinken und lassen uns vom Taxi zur Kyōto Station bringen. Unser Guide Koichi hat schon vor einem Monat zwei Sitze im Shinkansen nach Tokio für uns reserviert, dessen Abfahrt für 11:08 Uhr vorgesehen ist. Ich fühle vor der Fahrt im japanischen Hochgeschwindigkeitszug eine gewisse Anspannung. Nicht wegen des Verkehrsmittels an sich: Es gilt als außerordentlich sicher; seit der Inbetriebnahme der ersten Strecke im Jahr 1964 ist es zu keinem einzigen Unfall mit Todesfolge gekommen. Ich bin deshalb nervös, weil wir von mehreren Japanern gehört haben, dass der Zug sehr voll sein wird und wir mit unseren großen Koffern möglicherweise Platzprobleme bekommen. Mal sehen...
Die Zeit bis zur Abfahrt verbringen wir in einer gut besuchten Wartehalle. Als ich zwischendurch zur Toilette muss, wartet bereits eine lange Schlange von Frauen vor mir. Ich stelle mich hinten an und beobachte in den nächsten Minuten fasziniert das Prozedere. Überall im Vor- und Waschraum sind Schilder mit Pfeilen und Hinweisen angebracht, auf welcher Seite man zu stehen hat, wo man anhalten soll, wo das Ende und der Anfang der Schlange ist und welche der nummerierten Toiletten zu benutzen sind. Wir warten alle höchst sittsam, scheren nicht aus, es entsteht kein Gedränge. Eine Reinigungskraft ist im Dauereinsatz und schlüpft von einer Kabine zu nächsten. Ich muss sagen, dass das stille Örtchen am Bahnhof eine der saubersten öffentlichen Toiletten ist, die ich je gesehen habe. Und das bei dieser Frequentierung! Hut ab.
Um kurz vor elf Uhr fahren wir mit der Rolltreppe zu den Bahnsteigen hoch, stellen uns bei dem Tor an, wo unser Wagen Nummer 8 anhalten wird und warten. Pünktlich auf die Minute gleitet der stromlinienförmige, langnasige „Nozomi-Superexpress“ in den Bahnhof. Wir steigen ein und finden gleich unsere beiden Plätze in der 13. Reihe. Glücklicherweise bietet die unter der Decke des Abteils angebrachte Gepäckablage genügend Platz für unsere großen Koffer. Problem gelöst! Die Sitze sind bequem, wir haben ausreichend Platz für unsere Beine und Stützen für unsere Füße. Während der Zug das Häusermeer Kyōtos verlässt, insgesamt nur drei Zwischenstopps einlegt und ab Nagoya mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 200 km/h (inklusive Bahnhofsaufenthalten) nach Osten rast, schreibe ich meinen Blog und Olaf liest ein Magazin. Wir sind so in unser Tun vertieft, dass wir tatsächlich den Ausblick auf den Vulkankegel des Mount Fuji verpassen! Ich tröste mich damit, dass wir ihn bei dem wolkenverhangenen Himmel vielleicht sowieso nicht hätten sehen können...
Nach nur zwei Stunden und zwanzig Minuten kommen wir am Hauptbahnhof von Tokyo an und sind wirklich angetan von der Pünktlichkeit, Ausstattung und Schnelligkeit des Shinkansen. Eine angenehme Art des Reisens! Wir nehmen uns ein Taxi, das uns in ein paar Minuten zum Hotel „Conrad Tokyo“ bringt. Im Aufzug schweben wir zur Lobby im 28. Stock hinauf und können nach kurzer Wartezeit unser Zimmer zwei Etagen höher beziehen. Es ist geräumig, in gedeckten Farben gehalten und bietet einen Blick auf die Hochhäuser der 9,5-Millionen-Stadt und den Fluss Sumida, der in die Bucht von Tokio mündet.
Mittlerweile habe ich einen Bärenhunger - die kleine Früchteportion vom Morgen hat nicht lange angehalten. Wir bestellen beim In-Room-Dining ein verspätetes Mittagessen, das zügig geliefert wird. Nach mehreren Tagen mit überwiegend chinesischen und japanischen Gerichten läuft mir beim Anblick des vegetarischen Wraps, der Portion Pommes sowie der Brotscheiben samt Buttertöpfchen förmlich das Wasser im Mund zusammen. Ich stürze mich auf die Speisen und esse alles restlos auf. Leeeeeecker!
Den restlichen Tag verbringen wir im Zimmer. Morgen steht wieder eine Stadtbesichtigung an und bis dahin wollen wir uns noch ein wenig erholen...