Tag 83, 05.05., Mount Everest in Sichtweite: Mit „Yeti Airlines“ zum Dach der Welt


Wieder quälen wir uns früh aus den Betten, denn der zweite Versuch für den Flug zum Himalaya steht an. Das Wetter hier in Kathmandu sieht vielversprechend aus: blauer Himmel und kaum ein Wölkchen. Wie werden wohl die Bedingungen im Hochgebirge sein? Wir kommen bereits vor halb acht Uhr am Domestic Airport an und üben uns dann in Geduld. Die Abflughalle ist gut gefüllt, ein Flug nach dem anderen wird aufgerufen, doch unsere Nummer mit dem schlichten Ziel „Mountain“ lässt wie gestern auf sich warten. Gerade als wir langsam unruhig werden, beginnt das Boarding für unseren Flug. Der Shuttle Bus, in den wir steigen, setzt sich jedoch nicht in Bewegung, sondern bleibt am Gate stehen. Ein Flughafenangestellter erklärt uns, dass gerade sehr viele Maschinen abfliegen und es noch dauert, bis wir an der Reihe sind. Also ist wieder Warten angesagt. Nach etwa zehn Minuten werden wir zum weiß-grünen Flugzeug von „Yeti Airlines“ gekarrt, doch wir dürfen nicht aussteigen. Ein weiterer Mitarbeiter stimmt uns auf eine 20-minütige Wartezeit ein. Oh je. 


Langsam heizt sich das Fahrzeug auf, die Sonne knallt Olaf und mir auf den Rücken und durch die geöffneten Fenster dringt kaum eine Brise. Als aus den 20 Minuten eine Stunde geworden ist, hat sich unsere Geduld ziemlich erschöpft. Ein Blick in die Gesichter der anderen Passagiere zeigt, dass wir damit nicht alleine sind. Bevor eine Revolte ausbricht, kommt das ersehnte Signal: Wir dürfen raus aus dem Bus und rein in den Jetstream 41. Jeder der Passagiere bekommt einen Fensterplatz, die Sicherheitshinweise spart man sich. Wir warten wieder, bis das Flugzeug sich in Richtung Startbahn in Bewegung setzt, warten erneut, bis die Piloten grünes Licht erhalten. Und endlich geht es los!


Wir lassen Kathmandu im Dunst unter uns zurück, steigen auf 7.000 Meter Höhe und erreichen schnell wie der Wind den Himalaya. Olaf sitzt auf der „richtigen“ Seite des Flugzeuges, die dem höchsten Gebirge der Welt zugewandt ist, und knipst sich beim Anblick der zahllosen schneebedeckten Gipfel fast die Finger wund, während ich unruhig auf meinem Platz herumrutsche und mir den Kopf verrenke, um auch etwas zu sehen. Die Stewardess geht durch die Reihen und zeigt uns anhand eines Schaublatts, welche Berge gerade in unser Sichtfeld geraten. Wir fiebern natürlich alle dem Mount Everest entgegen. Als es so weit ist, darf ein Passagier nach dem anderen das Cockpit betreten und durch die Windschutzscheibe gucken. Ich habe zunächst Schwierigkeiten, den höchsten Berg der Erde zu lokalisieren, bekomme jedoch Hilfe vom Co-Piloten. 


Als das Flugzeug wendet, sitze ich auf einmal auf der „Schokoladenseite“: Weiße Wolken winden sich um die Berge im Vordergrund, doch die Spitze des 8.848 Meter hohen Mount Everest zeigt sich unverhüllt in ihrer ganzen Pracht vor tiefblauem Himmel. All das Warten hat sich gelohnt! Es ist tatsächlich ein erhabenes Gefühl, „die Stirn des Himmels“ (= Sagarmatha, der nepalesische Name für den Mount Everest) mit eigenen Augen sehen zu dürfen. Als die Stewardess Gläser mit Champagner austeilt, passt dies perfekt zu meiner halb feierlichen, halb gelösten Stimmung. Mein Mann und ich stoßen bewegt auf das im wahrsten Sinne des Wortes einmalige Highlight an. 


Als der Mount Everest langsam aus meinem Blickfeld verschwunden ist, bleibt die Szenerie trotzdem spektakulär. Besonders auffällig ist die steil aufragende Spitze des 7.134 Meter hohen Gauri S(h)ankar sowie der schneeweiße Melungtse mit seinen 7.181 Metern.


Nachdem wir wieder Boden unter den Füßen haben, kehren wir zum Hotel zurück. Obwohl die offizielle Frühstückszeit jetzt um halb zwölf Uhr schon längst vorbei ist, versorgt man unsere leeren Mägen mit einem Brotkorb und Spiegeleiern. Anschließend packen wir unsere Koffer, checken aus und machen uns in südöstlicher Richtung zu unserem Zwischenstopp, der im neunten Jahrhundert gegründeten Stadt Bhaktapur, auf.


Dort schlendern wir über gepflasterte, vergleichsweise wenig besuchte Straßen. Wäre da nicht der ein oder andere Motorradfahrer, der durch die Gassen braust, könnte man sich fast auf einer Zeitreise in die Vergangenheit wähnen: Nepalesinnen in Punjabi-Kleidung (bestehend aus einer Pumphose (Salwar) und dem Kameez, einem langen, an den Seiten geschlitzten Oberteil) schöpfen Wasser aus dem Brunnen, eine Frau sitzt im Hauseingang am Spinnrad, ältere Herrschaften - die Männer traditionell mit einem Topi auf dem Kopf - haben es sich schwatzend in überdachten Loggien bequem gemacht, an jeder Ecke duftet es nach Räucherstäbchen.


Uttam zeigt uns zunächst einen klapprig aussehenden Wagen aus Holz, dessen riesige Räder mit Augen bemalt sind. Beim Neujahrsfest Bisket im April ist er Hauptbestandteil des traditionellen Tauziehens: Die Bewohner des oberen und unteren Stadtteils treten gegeneinander an und versuchen, das Gefährt auf ihre Seite zu ziehen. Es existiert auch noch eine kleinere Ausgabe des Wagens, an der wir ebenfalls vorbeikommen. Allerorten fallen die Schäden ins Auge, die das Erdbeben von 2015 angerichtet hat. Manche Ziegelgebäude wirken so verschoben, rissig und baufällig, als könnte der nächste Windstoß sie zum Einstürzen bringen. Überall sind Bauarbeiten in Gange, alte Häuser werden renoviert oder abgerissen, neue hochgezogen. Unser Reiseleiter macht uns während des Spaziergangs auf besonders schöne, detailreiche Holzschnitzereien an Pfosten, Fenstern oder Türrahmen aufmerksam.


Wir erreichen den Töpferplatz Kumale Tol, auf dem Hunderte von Tonwaren wie Becher, Kerzenständer und Sparbüchsen in Reih und Glied aufgestellt sind, um mehrere Tage lang an der Sonne zu trocknen. Anschließend werden sie in den großen Öfen ziegelrot gebrannt. Der fünfstöckige Nyatapola-Tempel dominiert unser nächstes Ziel, den Platz Taumadhi Tol. Die steilen Stufen von Nepals größter Pagode werden auf beiden Seiten von je fünf Statuen bewacht: Ringern, Elefanten, Löwen, Greifen und Göttinnen. Der benachbarte Tempel Bhairabnath Mandir ist vollständig eingerüstet, nur die vergoldete Metalleinfassung auf seinem Dach blinkt aus dem Gewirr der Stäbe hervor. Geradezu bezaubernd finde ich das Café Nyatapola, das in einem kleinen ehemaligen Tempel untergebracht ist. Auf dem Balkon direkt unterhalb des Daches sitzen Touristen an kleinen Tischen quasi auf dem Präsentierteller und beobachten ihrerseits das Treiben auf dem Platz . 


Wir spazieren zum Durbar Square weiter und nehmen zunächst das älteste Bauwerk Bhaktapurs, den im 15. Jahrhundert errichteten Pashupati Mandir in Augenschein, dessen Dachstreben teilweise mit erotischen Schnitzereien verziert sind. Danach widmen wir uns dem Königspalast: Der weiße neoklassizistische Anbau in der Mitte wirkt auf mich etwas fehl am Platz, wohingegen der mit wunderbaren Schnitzereien verzierte Ostflügel aus Backstein eine wahre Augenweide ist. Diesen „Palast der 55 Fenster“ (Panchapanna Jhyale Durbar) ließ um 1700 herum König Bupalendra Malla errichten, an den die goldene Statue auf der Säule gegenüber erinnert. 


Wir betreten den Palast durch das Sun Dhoka, ein Tor aus vergoldetem Kupfer, dessen unglaublicher Reichtum an Götterfiguren, Tieren und Mustern ein Paradebeispiel für die meisterliche Handwerkskunst Nepals ist. Ein Durchgang führt uns zum „Schlangenteich“ Naga Pokhari, einem königlichen Badebecken aus dem 16. Jahrhundert. In den reich geschmückten Innenhof Mul Chowk dürfen wir vom Tor aus einen Blick werfen, ihn als Nicht-Hindus jedoch nicht betreten. Auch Fotografieren ist nicht erlaubt.


Nachdem wir den Palast verlassen haben, zeigt Uttam uns grinsend den kleinen „Helmut Kohl-Tempel“ am Platz, der offiziell Chyasin Mandap, (= Pavillon der Acht Ecken) heißt. Seinen Spitznamen erhielt er, weil die Bundesrepublik Deutschland den Wiederaufbau des durch ein Erdbeben im Jahr 1934 zerstörten Originalgebäudes finanzierte, Helmut Kohl die Zusage überbrachte und Anfang der 1990er auch bei der Einweihung zugegen war. Unweit des Pavillons erhebt sich die hübsche steinerne shikra des Siddhi Lakshmi Mandir, deren Treppenaufgang von Krieger- und Tierpaaren bewacht wird. 


Wir setzen unseren Stadtrundgang fort und kommen am Nag Pokhari vorbei, einem großen Wasserbecken mit giftgrünem Wasser, aus dem das goldene Haupt einer Schlange ragt. Gleich in der Nähe befindet sich Basuki Ghar, ein mit Schlangenreliefs geschmücktes Gebäude. Bald erreichen wir den kleinen Tachapal Tol (Dattatreya Square) mit seinen zwei Tempeln, den ich aufgrund seines bezaubernden Flairs sofort zu meinem Lieblingsplatz in Bhaktakur erwähle. Wir betreten eine Gasse an der Ostseite der aus dem 18. Jahrhundert stammenden Priesterunterkunft Pujari Math und bewundern dort das aus Holz geschnitzte, äußerst filigrane Fenstergitter in Form eines Pfaus - eine Glanzleistung nepalesischer Handwerkskunst. Nach einer Stippvisite beim gülden glänzenden Wakupati Narayan Tempel, in dem Vishnu als Erntegott verehrt wird, kehren wir zum Auto zurück und lassen Bhaktapur hinter uns.


Wir fahren in südöstlicher Richtung zur zwanzig Kilometer entfernten Stadt Dhulikhel und dann den Berg zu „Dwarika‘s Resort“ hinauf. In dem Schwesterhotel unserer bisherigen Unterkunft in Kathmandu werden wir die nächsten vier Nächte bleiben. Als wir unsere Häuschenhälfte Nr. 103 beziehen, sind wir aufs Angenehmste überrascht: Uns erwartet ein originelles Bad (mit Flusskieseln als Bodenbelag) und ein großzügiger, harmonisch eingerichteter Wohnraum mit Panoramablick auf das Tal. Die Krönung des Ganzen ist jedoch die riesige, private Dachterrasse. Selbstredend verbringe ich den restlichen Nachmittag hier oben, liege auf dem Tagesbett und genieße die Aussicht. Rechtzeitig zum Sonnenuntergang steigt auch mein Mann aufs Dach.


Nachdem der glutrote Ball verschwunden ist, besuchen wir das in Naturtönen eingerichtete Restaurant und wählen das nepalesische Menü.  Als Vorspeise gibt es mit Hühnchen gefüllte Momos, danach eine Bohnensuppe namens Kwati Ko. Der Hauptgang besteht aus Curry (ich probiere Paneer, Olaf Fisch) und einer Fülle an Beilagen: Linsenbrühe, Pilze und Gemüse, brauner und schwarzer Reis, eine Art Spinat und so weiter. An sich würden die meisten Gerichte mir durchaus schmecken, wenn da nicht ein kleines grünes Pflänzchen wäre, das beim Kochen sehr großzügig verwendet wurde: frischer Koriander. Uaaaaah. Sein Geschmack hat mir schon so einige Speisen verleidet. Wenigstens bleibt das Dessert davon verschont. Neben Orangenscheiben und Wassermelone wird uns ein Schälchen mit Sikarni serviert, einem süßen, mit Kardamom verfeinerten Joghurt. Lecker!


Kathmandu - Mount Everest


Kathmandu - Bhaktapur


Kathmandu Tal - Dwarika‘s Resort