Zwar ist die Nacht für mich recht ruhig verlaufen, doch am Morgen grummelt mein Bauch weiterhin und ich fühle mich erschöpft. Zähneknirschend sehe ich ein, dass es nicht unbedingt schlau ist, die Warnsignale meines Körpers zu ignorieren und stundenlang über holprige Pisten zu schaukeln, in der Hitze zu wandern und mir anschließend die volle Dröhnung Kultur zu geben. Das bleibt heute Olaf überlassen, der sich nach zwei Tagen überwiegender Erholung wieder fit genug fühlt. Meine Hummeln sind gar nicht begeistert, als mein Mann mit Uttam auf Erkundungstour geht und ich auf dem Zimmer zurückbleibe. Ein sanftes Alternativprogramm muss her!
Für die Mittagszeit buche ich eine ayurvedische Ganzkörpermassage. Meine nepalesische Therapeutin führt mich in eine ansprechende Hütte mit warmer orangefarbener Wandfarbe und beginnt mit der Behandlung: Ihre Finger krabbeln zart über eine Körperregion nach der anderen. Wie angenehm! Leider bleibt es nicht bei dieser sachten Berührung. Als Nächstes nämlich drückt die Masseurin unvermittelt so fest auf mein Kreuz, dass es richtig kracht und ich erschrocken denke: „Hoffentlich weiß sie, was sie da tut!“ Die anschließende Ölmassage ist dann ebenfalls mehr hart als zart. Ich werde ordentlich durchgewalkt, „geschrubbt“, gezwickt, gerubbelt, gedrückt und „geschlagen“ - die Handflächen der Therapeutin klatschen auf mein Fleisch. Wirklich weh tut es zum Glück nur selten, aber so richtig relaxen kann ich als lebender Brotteig auch nicht wirklich.
Vielleicht finde ich mehr Entspannung bei der Chakra-Meditation, die das Resort kostenfrei anbietet. Um 15 Uhr treffe ich oben auf dem Hügel meinen Guru, einen relativ jungen Nepali. Er führt mich zu einem hübschen Areal im Wald, in dem sich sich sieben winzige Häuschen befinden - eines für jedes Hauptchakra. Wir betreten barfuß die dem Kronen- oder Scheitelchakra zugeordnete Sahashara-Chamber, deren Wände und Sitzkissen lila leuchten, und setzen uns einander im Schneidersitz gegenüber. Da ich von Meditation wenig und von Chakren (Sanskrit für Rad oder Kreis) noch viel weniger Ahnung habe, muss mein Guru bei null anfangen. Mit teilweise geschlossenen Augen und einem leichten Wiegen des Oberkörpers weiht er mich in die sieben Hauptchakren der vedischen Philosophie und der Yoga-Lehre ein: Es handelt sich dabei um die Hauptenergiezentren des Menschen, die entlang der senkrechten Mittelachse des Körpers verortet und durch Energiekanäle miteinander verbunden sind. Ihr Zustand wirkt auf die zugehörigen Organe ebenso ein wie auf Psyche, Charakter und Emotionen. Nur wenn vorhandene Blockaden aufgelöst werden und alle sieben Chakren vollständig geöffnet sind, kann die Lebensenergie Prana richtig fließen. Die Meditation soll dazu beitragen.
Für ihr Gelingen nennt der Guru nennt vier Voraussetzungen: Man sollte Liebe empfinden und freundlich gegenüber allen Lebewesen sein, freudvoll an die Sache herangehen und sich in Gleichmut üben, statt zu beurteilen und zu analysieren. Erwischt! Ich habe nämlich gerade darüber nachgegrübelt, ob die leicht entrückte Art meines Gurus das Ergebnis seiner spirituellen Erleuchtung oder die Folge fleißigen Kiffens ist...
Wir beginnen mit der Konzentration auf das unterste Wurzelchakra (Muladhara Chakra). Ich soll mich auf seinen Standort am Ende der Wirbelsäule und auf seine Farbe, ein tiefes Rot, konzentrieren und die dem Chakra zugeordnete Sanskit-Silbe „lam“ intonieren. Wieder und wieder lassen wir beide gleichzeitig das „LAAAAMMMMM“ langgezogen aus unseren Mündern strömen, die Vibration des summenden „mmmm“ scheint dabei bis in meine Kieferknochen vorzudringen.
So arbeiten wir uns mit wechselnden Silben die Chakras nach oben hinauf und ändern dabei gegen Ende auch die Tonlage. Das Mantra mündet schließlich in minutenlanges Schweigen.
Nach der Meditation bedanke ich mich bei meinem Guru für die interessante Erfahrung und sehe mir dann die übrigens sechs Häuschen an, die je nach zugeordnetem Chakra in ihrem Inneren rot, orange, gelb, grün, himmel- oder dunkelblau gestrichen und eingerichtet sind.
Im Anschluss erkunde ich das weitläufige Resortgelände, komme an Stupas, Gebetsfahnen, Wasserbecken und lauschigen Sitzecken vorbei und lese mir die auf goldenen Tafeln verewigten Sinnsprüche durch. Auch dem Kristallhaus statte ich einen kurzen Besuch ab: Die Wände des Hauptraumes sind über und über mit hinterleuchteten Bergkristallen aus dem Himalaya besetzt. Welch ein hübscher Anblick! Deutlich düsterer, aber kaum weniger faszinierend geht es im Hauptraum des nächsten Hauses zu, dessen Wände mit zwanzig Tonnen Steinsalz aus dem Himalaya verkleidet wurden.
Ich bleibe nicht lange dort, sondern trete wieder ins weiche Nachmittagslicht hinaus und schaue bei dem kleinen, runden Infinity Pool vorbei, der bei weniger diesigem Wetter sicherlich eine bombastische Aussicht zu bieten hat. Nachdem ich durch das Spa Village mit seinen rotbraunen Behandlungshäusern geschlendert bin, komme ich schließlich wieder bei unserer Junior Suite an. Mein Mann ist bereits von seiner Erkundungstour zurückgekehrt. Was er heute gesehen und erlebt hat, berichtet er im Anschluss selbst.
Heute steht ohne meine liebe Frau die Fahrt auf einen Berg, ein Spaziergang Richtung Tal und der Besuch des zweitältesten Tempels Nepals auf dem Programm. Zunächst geht unsere Fahrt Richtung Norden über die sehr lebendigen Straßen Nepals, bevor wir uns dann den Weg nach oben kämpfen über Sandpisten, die durchzogen sind von unzähligen Steinen und tiefen Rissen. Nach 90 Minuten „rückenfreundlicher“ Fahrt erreichen wir den Ort Nagarkot auf 2175 Meter Höhe. Wir setzen uns im „Club Himalaya Nagarkot Resort“ auf die Terrasse und genießen die Aussicht und kühle Getränke.
Anschließend machen wir einen Spaziergang Richtung Tal. Je weiter wir kommen, desto mehr ändert sich die Szenerie: Steinhäuser werden durch Wellblechhäuser abgelöst, Ziegen und Hühner bevölkern die Straße und Menschen waschen ihr Geschirr und sich selber am Straßenrand am bzw. unter dem offensichtlich einzigen Wasseranschluß. Neben der Straße befinden sich uralte Wracks von Autos, die ausgeschlachtet wurden und nun vor sich hinrosten. Die Straßenarbeiten, an denen wir vorbeikommen, finden ohne jede maschinelle Unterstützung statt: Steine werden von Männern und Frauen in Körben getragen, Zement wird ohne Maschinen hergestellt. Die Landbevölkerung in Nepal muß offensichtlich mit noch weniger auskommen als die Stadtbevölkerung, weshalb ich teilweise das Gefühl habe, ich befinde mich auf einer Reise in die Vergangenheit der Menschheit ohne Elektrizität, Maschinen, Kanalisation etc.
Nach ca. 60 Minuten erreichen wir das Ziel unseres Spaziergangs: den Nagarkot Buddha Peace Park, in dessen Mitte eine goldene Buddha Statue thront. Die makellose Schönheit dieses Ortes erscheint fast unwirklich angesichts der Armut der Menschen, für die er errichtet wurde.
Unser Fahrer erwartet uns am goldenen Buddha und nach ca. 30-minütiger, erneut „rückenschonender“ Fahrt erreichen wir den Tempel Changu Narayan in 1541 Meter Höhe. Der Tempel ist sowohl den Hindus (Vishnu Narayan) als auch den Buddhisten (Hari Hari Hari Vahan Lokeshwor) heilig. Die Kultstätte und Weltkulturerbe der Menschheit datiert zurück bis zum Jahr 325 und wird erstmals schriftlich erwähnt in einer Sanskrit-Inschrift aus dem Jahr 464. Die Tempelanlage besteht aus drei Bauten.
Im Zentrum befindet sich eine zweistufige Pagode aus dem 18. Jahrhundert mit farbig bemalten, hölzernen Wächterfiguren am Dach. Die Pagode beherbergt ein Kultbild und ist wie viele andere Tempel in Nepal nur für Hindus zugänglich. Neben der großen Pagode gibt es den kleineren zweistöckigen Tempel Kileshwor, der für seine erotischen Motive bekannt ist. Gemäß der Hindu Religion ist Shiwa an diesem Tempel erschienen. Abgesehen von beiden Tempeln in klassischer Bauweise findet sich noch der einstöckige Tempel Chhinnamasta mit seinen vergoldeten Toren. Die Göttin Chhinnamasta hat sich hier dem Glauben nach selber enthauptet, um die hungrigen Dakini und Varnini zu füttern. Daher auch der Name Chhinnamasta, was wörtlich übersetzt „Der Enthauptete“ bedeutet.
In der Tempelanlage sind zahlreiche Steinreliefe und Steinfiguren zu bewundern, wie z.B. das Relief Narasimha aus dem 7. Jahrhundert, welche Vishnu halb Mann/halb Löwe darstellt sowie die Figur Garuda, auf dessen Rücken Vishnu zu reiten pflegt. Nachdem ich die Atmosphäre dieses Ortes eingehend genossen habe und meiner fotografischen Pflicht im Auftrag meiner lieben Frau nachgekommen bin, bringt uns der Fahrer zurück zum Hotel. Es ist schön zu sehen, daß es Stefanie schon wieder besser geht.
Insgesamt kann man sagen, Nepal hat unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Es gibt viel zu erleben und zu entdecken: Spektakuläre Stupas, Kumaris (Kindgöttinen), Hindu Tempel mit heiligen Kühen und Feuerbestattung, Mount Everest Flug .... eine phantastische Erfahrung!