Nach dem Frühstück trennen sich Olafs und meine Wege. Eigentlich ist heute ein ganzer Tag auf La Digue eingeplant, doch mein Mann fürchtet die Hitze auf der Insel und entscheidet sich dafür, an Bord zu bleiben. Melvin setzt mich am Hafen von La Passe ab und dann schippern die beiden Männer ohne mich weiter.
Mit zehn Quadratkilometern ist La Digue die viertgrößte Insel der Seychellen; geht man nach der Einwohnerzahl, liegt sie sogar auf Platz 2 - und das bei gerade mal 2.800 Menschen. Der Hauptort La Passe ist dementsprechend überschaubar, es geht dort recht ruhig zu. Fahrzeuge sieht man kaum, die meisten Leute - egal, ob Einheimische oder Touristen - nutzen Fahrräder, um von A nach B zu kommen. Ich entscheide mich dafür, meine faulen Füße zu bewegen und per pedes ein wenig den Westen der Insel zu erkunden.
Zunächst schlendere ich in der bereits brütenden Hitze durch das beschauliche La Passe, komme am Heliport vorbei und erreiche schließlich L‘Union Estate, eine restaurierte Plantage mit allerlei Sehenswürdigkeiten: zum Beispiel dem Privatfriedhof der Familie Mellon, welche Anfang des 18. Jahrhunderts zu den ersten Siedlern auf La Digue gehörte. Verwitterte Gruftplatten und windschiefe Grabsteine bilden einen reizvollen Kontrast zu der Palmenidylle im Hintergrund, doch auch hier erobert die Natur langsam die Fläche zurück und rankt sich um die Gräber. Es gibt auch eine alte Kopramühle, wo zu Anschauungszwecken aus dem weißen, getrockneten Kernfleisch der Kokosnuss Öl gewonnen wird. Als ich daran vorbeikomme, kauert der Ochse, der die Mühle betreibt, allerdings gerade müde am Boden. Ich kann es ihm bei den schweißtreibenden Temperaturen nicht verdenken.
Auch die meisten Schildkröten in ihrem Gehege am dunkel aufragenden Granite Boulder, dem angeblich größten Felsen der Seychellen, rühren sich keinen Millimeter. Mit ihren grauen runden Panzern und den eingezogenen Köpfen sehen die 30 bis über 100 Jahre alten Tiere selbst ein wenig wie Steine aus. Ein paar der großen Exemplare setzen sich trotz ihrer massigen Körperfülle erstaunlich flink in Bewegung, um in das frische Grün zu beißen, das wir Besucher ihnen entgegenhalten.
Ich flaniere an der Vanilleplantage vorbei und folge den Schildern zur Anse Source d‘Argent. Manche halten ihn für den schönsten Strand der Seychellen, definitiv ist er der berühmteste und meistfotografierte. Als ich dort ankomme, verstehe ich auch, warum. Es ist traumhaft hier, hinter jeder Ecke bietet sich ein neues, fantastisches Fotomotiv. Aquamarinblaues Wasser leckt an den großen Felsskulpturen, feiner Sand schmeichelt den Füßen, Palmen ragen in den blauen Himmel empor. Durstige Touristen können sich unter schattigen Bäumen an der etwas zurückversetzt liegenden, rustikalen „Fruita Cabana Bar“ mit Fruchtsäften und Shakes versorgen lassen. Einsamkeit findet man an der Source d‘Argent natürlich nicht gerade, aber überlaufen ist der bekannte Strand auch nicht. Ich rolle im Schatten meine Sportmatte aus und genieße in den nächsten Stunden den wunderschönen Anblick.
Auf meinem Rückweg durch L’Union Estate statte ich dem strohgedeckten Plantation House noch einen Kurzbesuch ab, das im 19. Jahrhundert erbaut wurde. In La Passe nehme ich im hübschen, italienischen Lokal „Le Repaire“ ein spätes Mittagessen ein: Mozzarella Caprese sowie Joghurt-Semifreddo. Dazu bestelle ich einen Aperol Spritz und staune nicht schlecht, als dieser im Riesen-Kelchglas serviert wird - fast schon ein doppelter Drink! Vom Restaurant aus ist es nicht mehr weit bis zum Hafen und zur „Sebon“. Melvin holt mich mit dem Beiboot ab und bringt mich zu unserem Katamaran. Da der Blick auf Mülltonnen und die Gebäude am Hafen nicht sonderlich malerisch ist, fahren wir wieder ein paar hundert Meter aufs Meer hinaus und ankern dort.
Für das Abendessen hat unser Skipper sich etwas Besonderes einfallen lassen. Kurz nach Sonnenuntergang bringt er uns im Schlauchboot nach La Digue zurück, wo unweit des Wassers zwei Tische von Fackellicht erhellt werden. Gemeinsam mit seinem Freund Robert, der ebenfalls Deutsche eingeladen hat, wirft er den Grill an. Es dauert sehr lange, bis das Essen fertig ist. Mir macht das wenig aus, denn Hunger habe ich nach meinem Ausflug zum Italiener sowieso nicht. Wir schwitzen in der Zwischenzeit ordentlich, trinken Weißwein und unterhalten uns mit dem Mutter-Tochter-Duo aus Köln. Die Portionen, die uns schließlich aufgetischt werden, würden locker für eine ganze Kompanie reichen. Es gibt gegrilltes Hähnchen, Tintenfisch und Barrakuda, dazu Zimtreis, Fisch- und Oktopus-Curry sowie Apfelchutney. Trotz meines Protestes schaufelt Robert immer mehr auf meinen Teller. Zum Schluss sind wir so voll, dass wir kurz vor dem Platzen stehen. Ein Wunder, dass das Schlauchboot nicht sinkt!
Melvin setzt uns bei der „Sebon“ ab und fährt noch einmal zur Insel zurück, um Robert beim Aufräumen zu helfen. Eigentlich sollen wir bei Dunkelheit aus Sicherheitsgründen nicht mehr ins Meer hüpfen, doch wir nutzen die „sturmfreie Bude“, um uns über dieses Verbot hinwegzusetzen. Etwas abgekühlt legen wir uns auf das Trampolin. Olaf schläft heute bei mir, weil es hier nachts am kühlsten ist.