Tag 91, 13.05., Unterwasserfunkeln vor La Digue, verschmuste Riesen auf Curieuse, bissige Fische bei St. Pierre


Ich wache gegen vier Uhr morgens auf, während die anderen noch selig schlummern, und nutze die Gunst der Stunde: Im Evaskostüm schlüpfe ich ins Meer und schwimme im Schutz der Dunkelheit. Plötzlich stelle ich fest, dass nicht nur über mir, sondern auch unter mir Sterne funkeln! Bei jeder meiner Bewegungen leuchtet phosphoreszierendes Plankton im Wasser auf und wirbelt um meinen Körper. Ein geradezu magischer Anblick! Manchmal macht mich die Schönheit unserer Welt sprachlos... Glücklich liege ich kurze Zeit später wieder auf dem Netz und blicke so lange in den Sternenhimmel, bis mir die Augen zufallen.


Ich erwache gegen halb acht Uhr morgens, als die Sonne bereits kräftig scheint und das klamme Laken trocknet. Nach dem Frühstück steuert unser Skipper die drei Quadratkilometer große Insel Curieuse an, die seit 1979 den Status eines Meeres-Nationalparks hat. Ihr Entdecker Marc-Joseph Marion du Fresne benannte sie im 18. Jahrhundert - wie übrigens auch La Digue -  nach einem der Schiffe seiner Flotte. Melvin setzt mich bei der Laraie Baie ab, wo Dutzende von Riesenschildkröten im Gras und im Laub eines lichten Waldes sich gerade entweder ausruhen oder sich durch die Gegend schieben und alles fressen, was grün ist. Ihre Vorfahren wurden zwischen 1978 und 1982 hier ausgesetzt und bis heute gibt es Hunderte von ihnen auf Curieuse. Sie sind offensichtlich an Menschen gewöhnt und fressen uns die Blätter aus der Hand. Ein paar besonders „schmusige“ Exemplare lassen sich sogar am Kopf, Nacken und faltigen Hals kraulen. Ich verbringe eine Dreiviertelstunde bei den Riesen und kann gar nicht genug davon bekommen, ihre uralt anmutenden Gesichter zu fotografieren. Wenn sie ihre Mäuler aufreißen, wirken sie beinahe furchterregend. Absolut niedlich sind dagegen die Baby-Schildkröten, die bis zum fünften Lebensjahr im Aufzuchtgehege Schutz finden. Die meisten der Mini-Schildis liegen bloß herum, ein paar der aktiveren bewegen sich im steifen „Stechschritt“ fort.


Apropos Bewegung: Da Melvin mich an einem Strand im Südosten der Insel einsammeln wird, mache ich mich auf die Weg dorthin. In der glühenden Mittagshitze wandere ich an dunklen, zerfurchten Granitfelsen vorbei und komme auf einem Plankenweg durch Mangrovenwälder. Eine große Krabbe flieht vor mir in ein Sandloch, eine Eidechse beäugt mich kurz und sucht dann ebenfalls das Weite. Ich schnaufe eine Anhöhe hinauf und zergehe fast vor Hitze. Mir ist leicht übel und ich merke, dass meine Sicht sich seltsam verschiebt - als würde ich auf ein Fernsehbild sehen, das leicht hin und her wackelt. Höchste Zeit, wieder ein paar Schlucke aus meiner Wasserflasche zu nehmen.


Ich bin froh, als meine Wanderung ein Ende findet und ich das „Doctor‘s House“ des schottischen Arztes William MacGregor erreiche, der nach den Kranken der Insel sah. Fast 136 Jahre lang, von 1829 bis 1965, war Curieuse nämlich Standort einer Leprakolonie. Im Erdgeschoss des Arzthaus informieren mehrere Tafeln über die furchtbare Krankheit sowie über Geschichte, Flora und Fauna der Insel. 


Nachdem ich auch dem Obergeschoss einen kurzen Besuch abgestattet habe, schlendere ich zum vereinbarten Treffpunkt, dem langgezogenen Sandstrand Anse St. Jose. Viele kleine Boote ankern in Ufernähe, um später die Tagestouristen wieder aufzusammeln, doch am westlichen Strandende, wo die „Sebon“  auf mich wartet, ist fast gar nichts los. Ein dicker Seestern liegt in der Brandung und wird von einem mitleidigen Strandgänger wieder in tiefere Gewässer zurückbugsiert. Ich stürze mich ins nicht wirklich kühle Nass und werde kurz darauf von Melvin im Beiboot zu unserem Katamaran zurückgebracht. Als die Sonne hinter den Wolken hervorkommt, leuchtet das Meer vor Anse St. Jose in einem intensiven Türkisgrün auf.


Nach dem Mittagessen (Spaghetti in Zwiebel-Sahnesauce mit Räucherfisch-Salat) startet unser Skipper die „Sebon“ und schippert zum traumhaft schönen Inselchen Île St. Pierre, wo wir die nächsten Stunden vor Anker liegen. Kokospalmen thronen über gerillten Felsformationen mit gezackten Spitzen, das Meer strahlt hier in schönstem Türkis. Wir haben diese Idylle zunächst fast ganz für uns allein, doch im Laufe des Nachmittags kommen immer mehr Boote an und spucken Schnorchlergruppen aus, die die Insel umschwärmen. Meine eigene Unterwasseraktion gestaltet sich etwas unglücklich: Die Klettverschlüsse der einen Leih-Taucherbrille gehen ständig auf, die zweite Brille sitzt zunächst zu fest, dann zu locker. Auch nachdem ich sie enger gezerrt habe, sickert ständig Wasser in den Nasenbereich und mein Sichtfeld. Durch das permanente Herumfummeln kann ich mich auf die Unterwasserwelt gar nicht so richtig einlassen. Bunte Korallen gibt es hier keine mehr: Zu hohe Wassertemperaturen im Jahr 2016 haben auf den Seychellen zu einer massenhaften Bleiche und dem anschließenden Absterben von Korallen geführt. Oberhalb von zwanzig Metern Meerestiefe lässt sich nur noch eine weiße Ödnis feststellen. 


Rund um die Insel St. Pierre tummeln sich zumindest einige bunte Fische, die dicht an den Schnorchlern vorbeischwimmen. Ich spüre einen kurzen scharfen Schmerz am Oberschenkel und kann es nicht glauben: Ein Minifisch hat mich gerade gebissen! Wahrscheinlich wollte er mal den Spieß umdrehen und testen, wie ein Mensch so schmeckt. Ich verscheuche ihn, beäuge im Anschluss aber skeptisch jeden vorwitzigen Meeresbewohner, der sich mir nähert.


Am späteren Nachmittag fahren wir zur Insel Praslin, wo wir außerhalb des Jachthafens in der Baie Sainte Anne ankern. Ich quetsche mich in die kleine Kabine, in der wir unser Gepäck lagern und bringe im Schweiße meines Angesichts wieder Ordnung in den Koffer. Melvin tischt anschließend erneut ein gewaltiges Abendessen auf: zwei ganze Fische, Lammcurry, Reis und Kohlsalat. Heute Nacht betten mein Mann und ich uns wieder auf dem Netz zwischen den Rümpfen zur Ruhe und schlafen wohl zum letzten Mal auf dieser Reise unter dem Sternenhimmel ein.